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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 23 (Do, 18.9.2025) - Von Monforte de Lemos nach Chantada / 32,4 km
Da es heute so warm werden sollte, haben wir das in der privaten Herberge bestellte Frühstück für morgens halb sieben erbeten, damit wir um sieben starten können. Ich habe wunschgemäß getoastetes Weißbrot mit Olivenöl und Tomate bekommen. Die Tomaten waren zwar im Stück und nicht wie erwartet fertig zum Raufschmieren, aber Tomatenscheiben auf dem Brot erfüllen den gleichen Zweck.
Der Weg raus aus der Stadt führte auf der Fußgängerbrücke über die Bahn, im Zickzack durch einige Straßen und dann ein Stück entlang des noch im Dunkeln liegenden Rio Cabe und auf einer alten Steinbogenbrücke über diesen hinweg.
Dann ging es lange geradeaus, wobei die Bebauung immer spärlicher wurde. Auf einer nur wenig befahrenen Straße ging es über den Rio Cinsa und zweimal über die Nationalstraße. Dann war ringsum nur noch Natur und die Straße führte langsam, aber stetig bergauf. Da hat mich Margarita, eine nicht mehr ganz junge Portugiesin überholt und sich entschuldigt, dass sie so schnell läuft. Sie hat es nicht so mit den Bergen und da muss sie auf den flachen Strecken noch was rausholen. Da geht es ihr wie mir, nur dass ich auch im Flachen nicht so sonderlich schnell bin. Da Margarita auch Marco überholt hat, der weit vor mir war, muss sie auch in den Bergen einen ordentlichen Schritt zugelegt haben.
Die Straße führte tendenziell bergauf bis auf 650 m Höhe. Mitunter ging es auch mal ein Stück runter, aber nur, damit man für den nächsten Anstieg Schwung holen kann. Die Orte am Weg hatten zwar alle schöne Namen, aber selten mehr als 5…10 Häuser. An eine Bar oder an einen Laden war da nicht zu denken. Selbst Kirchen waren rar und stets verschlossen.
Nach etwa zwanzig Kilometern war der höchste Punkt erreicht und nun ging es auf konstanter Höhe und sogar etwas abwärts auf dem Kamm einer Bergkette entlang und es boten sich schöne Blicke in das Tal des Rio Miño, wobei der nie selbst zu sehen war, weil die Berghänge viel zu steil waren.
In Diomondi, wo der Camino die Straße verlässt und auf einem holprigen Weg runter ins Tal führt, habe ich mir die dortige Herberge angeschaut. In dem winzigen Dorf gibt es vielleicht fünf Häuser, aber eine romanische Kirche aus dem 12. Jahrhundert und einen angebauten Bischofspalast, wobei hier „Palast“ sehr hoch gegriffen ist. Sagen wir mal, die Kirche hat einen Anbau. In diesen hat ein offenbar renommierter Architekt vor wenigen Jahren für eine Million Euro eine Pilgerherberge eingebaut. Jene, die dort schon mal übernachtet haben, loben den Bau, bemängeln aber, dass es dort nicht mal einen Automaten für Getränke und Essbares gibt. Das muss man sich alles mitbringen und zwar aus dem 23 km entfernten Monforte, wo ich herkam. Ich hatte schon mit den Gedanken gespielt, des tollen Ambientes wegen dort abzusteigen und morgen früh dann ausgeruht den strapaziösen Ab- und Aufstieg runter zum Rio Miño und wieder hoch nach Chantada in Angriff zu nehmen. Aber ich hatte nichts zum Essen dabei und ab 14 Uhr für den Rest des Tages Wasser zu trinken und mich im Garten zu langweilen, war auch nicht mein Verlangen. Aber anschauen wollte ich mir wenigstens Kirche und Herberge.
Ich habe also den kleinen Abstecher gemacht und vor der Tür einen Herrn aufgeschreckt, der dort auf Pilger wartete. Dem musste ich nun beibringen, dass ich zwar ein Pilger bin, aber anderswo nächtigen werde. Er hat mich trotzdem mal einen Blick reinwerfen lassen. Das ist wirklich eine originelle Kombination aus alt und neu. Die Kirche selbst ist leergeräumt und nicht zu besichtigen, aber ein an die Kirche angrenzender Saal, in den man den Aufenthaltsraum der Herberge wie eine Empore eingebaut hat. Wirklich toll gemacht, aber ich befürchte, dass der Herr nicht nur heute von 13 bis 22 Uhr (so die Öffnungszeiten der Herberge) vergeblich auf Übernachtungsgäste warten wird. Insgesamt 34 könnten da unterkommen. Wohl selten hat jemand so viel Essen und Trinken dabei, dass er da einfach absteigen kann. Und wenn er nicht aus der hohlen Hand essen will, muss er auch noch Geschirr und Besteck dabei haben, denn während Corona hat man in den kommunalen Herbergen die Küchen aus- und danach nicht wieder eingeräumt. Da bezahlt man nun jemand, der jeden Tag auf Gäste wartet und vermutlich selten was zu tun bekommt, aber für einen Automaten (der sich vermutlich selbst finanzieren würde) ist kein Geld und/oder kein Wille da. Das ist wirklich ärgerlich.
Von Diamondi geht es auf einem steilen Weg im Zickzack am Berghang hinunter ins Tal, von 500 runter auf 200 Meter. Das klingt nicht viel, aber die Beine sind da ganz anderer Meinung. Man kann nicht sagen, dass der Weg gepflastert ist. Da hat mal jemand, wahrscheinlich waren es die Römer, große Felsbrocken nebeneinander gelegt, über die man jetzt abwärts hüpfen muss. Dass dies anstrengend wird, war mir klar, aber ich hätte nie gedacht, dass man für diese 300 Höhenmeter so lange braucht. Als dann vielleicht noch hundert Meter übrig waren, konnte man durch ein paar Lücken im Wald endlich mal runter bis zum Fluss schauen, der da noch so endlos weit entfernt schien.
Kurz bevor der Fluss erreicht ist, lichtet sich der Wald und man steht plötzlich zwischen Weinbergen. Nun ist der Blick frei auf den gegenüber liegenden Berghang, der komplett mit Weinbergen versehen ist. Durch diese geht es nachher also 300 Meter hoch, teils auf der Straße, teils auf Hohlwegen, die entweder gar keinen oder den gerade beschriebenen römischen Straßenbelag haben.
Bevor ich das angehen konnte, brauchte ich unbedingt eine längere Pause. Da traf es sich gut, dass es wider Erwarten unten am Fluss eine Gaststätte gab, die in der Online-Karte gar nicht eingezeichnet, aber in der beim „Standort senden“ verschickten Karte zu sehen ist. Die liegt, ohne Insiderwissen nicht erkennbar, etwas abseits des Camino zwischen der Straße und dem Bootssteg, an dem zwei „Ausflugsdampfer“ auf Fahrgäste warteten.
Als ich kam, saß ein Paar in der Gaststätte, als die weg waren, war ich allein mit einem wunderbaren Blick aufs Wasser und auf die Weinberge - nachmittags halb drei zur besten Kaffeezeit. Ich weiß nicht, woran das liegt. Ob die Saison vorbei ist, insgesamt weniger Touristen kommen, die Preise inzwischen zu hoch sind oder sonst was die Leute abschreckt. Schade, denn mit so wenig Kundschaft kann sich die beste Kneipe nicht halten.
Nach der ersehnten und hier erhaltenen Erfrischung ging es frohen Mutes über die Brücke und rein in den Weinberg. Es gibt eine Straße, die sich in weiten Serpentinen durch die Weinberge hoch bis auf den Kamm zieht. Der Camino geht aber steil bergauf und schneidet die Serpentinen. Man hat also die Wahl zwischen einem langen Weg entlang der Straße mit moderatem Anstieg oder dem ausgeschilderten Camino, der gnadenlos steil bergauf führt. Letztlich bin ich einen Mix davon gelaufen - erst Camino und als mir dann die Zunge bis sonst wohin hing, auch mal ein Stück Straße.
Das war trotzdem ganz schön anstrengend und hat lange gedauert, weil ich oft Pausen einlegen musste. Endlich oben angekommen, waren es noch etwa drei Kilometer bis nach Chantada, dem heutigen Etappenziel. Jetzt ging es halbwegs eben und ziemlich geradeaus.
Kurz vor dem Ort hat mir jemand von seinem Grundstück aus zugerufen, ob ich Wasser haben will. Das ist mir unterwegs schon wiederholt passiert und ich habe immer freundlich verneint, weil ich genug Wasser mit mir rumgeschleppt habe. Dieses Mal war ich ganz frech und habe auf die Frage „Agua?“ (Wasser) mit „Cerveza!“ (Bier) geantwortet. Der Herr hat mich daraufhin aber nicht weggejagt, sondern per Fernbedienung das Gartentor geöffnet und Zeichen gegeben, dass ich reinkommen soll. Wie sich rausstellte, sprach er (Manuel, 78) sogar ganz gut Deutsch und wir haben uns in seiner riesigen Garage sitzend, prima unterhalten. Er hat zwei Töchter, eine arbeitet in der spanischen Botschaft in Berlin, die andere ist Ärztin in einem großen Hospital in Madrid. Die hat eine 8jährige Tochter, die gut Klavier spielt und schon bei Wettbewerben aufgetreten ist, was er mir mit Videos bewiesen hat. Wir hatten so viel Zeit zum Quatschen, weil Manuel einfiel, dass er gar kein Bier im Kühlschrank hat. Da musste er für ein paar Minuten eine Flasche ins Tiefkühlfach legen, wozu er extra hoch in die Wohnung ist. Zur Überbrückung hat er mir eine Flasche kalten Wassers mitgebracht. Die später aus dem Tiefkühler geholte Flasche mit dem schwarz-roten Etikett, also „Estrella Galicia“, war eine Wohltat. Damit war die Welt sowas von in Ordnung.
Als die Sprache auf Wein kam, weil ich ihn fragte, ob er auch einen Weinberg hat, kam er ins Schwärmen. Das ist ja hier eine ganz besondere Weingegend, die „Ribeira Sacra“ (Heiliges Uferland), und natürlich hat er auch einen kleinen Weinberg, den er zusammen mit einem Bekannten bewirtschaftet, der Ahnung davon hat. Er habe einen sehr guten Wein und den müsste ich unbedingt kosten. Zwei Minuten später hatte ich statt einer ausgetrunkenen Wasserflasche eine Weinflasche mit edlem Etikett und Seriennummer in der Seitentasche meines Rucksacks.
In Chantada habe ich mich mit Marco, mit dem ich mich per WhatsApp abgesprochen habe, im „Dpaso Hostel“ einquartiert. Das ist mit 20 € etwas teurer als zwei andere Hostels, die 15 € kosten, aber keine Küche zu bieten haben. Die Preisdifferenz hat man schnell wieder rein, wenn man sich selbst bekochen kann und nicht in die Gaststätte gehen muss.
Im Ort angekommen, war ich zunächst schockiert, denn an der Stelle, wo das erwählte Hostel in der Karte eingezeichnet war, stand nur ein halb verfallenes Haus, umgeben von einer aufgegebenen Baustelle. Aber das war zum Glück nur ein Fehler in der Karte. Ein paar Meter weiter fand sich in einer Seitenstraße das gesuchte Hostel, zur Straße hin mit einer rostfarbenen, fensterlosen Metallfassade, was schon erahnen ließ, dass es innen schick und modern aussieht.
Der Aufenthaltsraum, in den man von draußen tritt, ist mit einer großen, farbigen Sitzecke und einem Esstisch mit bunten Stühlen ausgestattet. Darüber sind silberne Lüftungsrohre und an den Wänden hängen eigenwillige Lampen. Am Ende des Raumes stehen auf einer Küchenzeile Kaffeeautomat, Wasserkocher und Toaster sowie die Zutaten fürs Frühstück. Daneben ist ein großer Kühlschrank. In zwei Wandnischen, die vielleicht einen Meter breit sind, befinden sich zwei Miniküchen mit Ceranfeld, Waschbecken und darüber Abzugshaube und Mikrowelle. Unterm Ceranfeld ist ein Schubfach mit einer umfangreichen Topf- und Pfannenauswahl. Geschirr und Besteck gibt es auch sehr reichlich.
Die Schlafgelegenheiten befinden sich in zwei langgestreckten Gebäudeteilen, die einen schmalen Innenhof einschließen, in dem man gut sitzen und auch seine Wäsche trocknen kann. In den beiden Flügeln gehen von einem Flur vier Kabinen ab, in denen sich 2 bzw. 4 Schlafboxen befinden, alle mit Vorhang, richtig guter Bettwäsche, Licht und USB-Anschluss. Unter den Betten große Schubfächer, die man mit dem als Türöffner ausgehändigten Chip verschließen kann. Zum Flur hin sind die Kabinen mit einem Vorhang verschließbar, auf der anderen Seite zeigt ein bodentiefes Fenster mit Rollladen zum Innenhof.
Am Ende sind die beiden „Bettenhäuser“ durch einen Sanitärtrakt verbunden, der sehr ordentliche Waschräume mit ausreichend Duschen und Toiletten enthält, je einen für Damen und Herren. In dem Trakt befinden sich auch Waschmaschine und Trockner, deren Benutzung aber extra kostet. Die Beleuchtung wird hier auch per Bewegungsmelder gesteuert, aber nicht so, dass wie in A Proba im ganzen Flur das Flutlicht angeht, wenn jemand auf dem Weg zur Toilette ist. Stattdessen gehen in den Sockeln der Wände gelbe LED‘s mit warmem Licht an, die den Weg zur Toilette bzw. zum Ausgang völlig hinreichend beleuchten. Hier ist 2022 von einem privaten Betreiber auf kleinstem Raum eine sehr durchdachte und im Detail großzügige Herberge errichtet worden, bei der man wirklich an alles gedacht und für Alles optimale Lösungen gefunden hat.
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