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Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 24 (Fr, 19.9.2025) Von Chantada nach Rodeiro / 22,3 km
Gestern Abend konnte ich Marco mal vom Gaststättenbesuch abhalten und dazu bewegen, die komfortable Küche in der Herberge zu nutzen. Ich habe mir alle Zutaten für ein deftiges Rührei besorgt, inklusive Bacon, weil ich nicht wusste, ob Öl in der Küche ist. Marco ist mit seinem Ideenreichtum nicht über das italienische Nationalgericht, Pasta, hinausgekommen. Er wollte mich schon dazu verleiten, ihm nachzuahmen, aber die Pasta-Mengen die ich bekomme, wenn die Enkelkinder zu Besuch sind, reichen mir für das restliche Jahr.
Ohne mich loben zu wollen, das Rührei mit Bacon, Zwiebel und Tomate war einfach großartig und da ich die Zutaten genau halbiert habe, konnte ich die Rührei-Orgie heute früh wiederholen. Ich habe für die Zubereitung auch nicht viel länger gebraucht, als Marco für die Programmierung der neumodischen Mikrowelle, um seine Pasta warm zu bekommen.
Da Marco zu seinen Gerichten immer nur Wasser nimmt, habe ich die von Manuel geschenkt bekommene Weinflasche zu gelassen. Schön blöd. Ich hätte die mal auf- und ggf. allein niedermachen sollen, dann hätte ich heute vielleicht einen schweren Kopf, aber keinen schweren Rucksack gehabt. So habe ich die Flasche bei sicher nicht optimalen Lagerungsbedingungen über die Berge geschleppt, ohne zu wissen, ob heute jemand in der Herberge ist, mit dem man anstoßen kann. Ich muss sie allerdings wieder auf 8…10 Grad runter kühlen und dabei maximal 20 Minuten in den Kühlschrank legen, wie mir Manuel gestern eindringlich mit auf den Weg gegeben hat.
Wir waren in der schönen 28-Betten-Herberge nur zu dritt und wir beide haben erst heute früh mitbekommen, wer der dritte Pilger ist. Als wir beim Frühstück saßen, kam Margarita, die flinke Portugiesin, aus dem anderen Trakt. Marco kannte sie auch schon, da sie gestern nicht nur mich, sondern auch ihn überholt hat. Wir haben noch kurz geplauscht und sind dann gemeinsam losgezogen. Bis zur dritten Häuserecke war ich sogar der Erste!
Zum Glück hatte es aufgehört, zu regnen. Morgens um sechs, als ich den ersten Aufstehversuch machte, kam mir Marco mit der Nachricht entgegen, dass es regnet, und wir haben ganz spontan beschlossen, noch ein Stündchen zu schlafen.
Die Sonne kam bis zum Mittag auch nicht so richtig durch, wodurch die Temperatur in erträglichen Grenzen blieb. Das lag an den Wolken, vor allem an den selbstgemachten. Als ich gestern endlich den Aufstieg von Belesar am Rio Miño hoch nach Chantada geschafft hatte, habe ich über dem Höhenzug, den ich zuvor passiert hatte, eine braune Wolke gesehen - nicht wirklich bedrohlich, aber bemerkenswert. Ob diese von einem Waldbrand herrührte, oder nur die Folge der alltäglichen Müllverbrennung ist, konnte ich nicht ausmachen. Ein Mann, den ich auf die Wolke aufmerksam gemacht habe, hat nur abgewunken und das als was ganz Alltägliches abgetan. Hier wird ja alles gleich am Feldrand verbrannt, was sich nicht essen lässt.
Als wir heute aus der Herberge kamen, war nicht nur hinter uns das ganze Tal, sondern auch das Stadtgebiet von einer stinkenden Wolke bedeckt, so wie bei richtig starkem Smog. Es war jetzt zwar nicht so, dass man Atembeschwerden bekommen hat, aber unangenehm war es doch, in dem Brandgeruch, der wahrscheinlich noch durch den Regen verstärkt wurde, zu laufen.
Das Soll für die heutige Etappe sah sowohl auf der Karte, als auch im Höhenprofil sehr seltsam aus. Wer sich an die für den Camino stehende blaue Linie in der Karte halten wollte, der musste im rechten Winkel erst nach Westen und dann nach Norden laufen und zum Eckpunkt dieses Winkels bis über 1100 Meter hochsteigen. Da gab es nicht viel zu überlegen - die Diagonale ist auf jeden Fall kürzer und in diesem Falle viel leichter zu laufen, da sie „nur“ bis auf 870 Meter hochführt. Dieses Einsehen haben auch die Wegeplaner gehabt und bei Gronze eine Alternative ausgewiesen, die schräg verläuft und den hohen Berg auslässt. An der habe ich mich orientiert, und gleich die auf einer schwachbefahrenen Straße gelegene Hypotenuse dieses Dreiecks benutzt. Da ging es ganz langsam und ohne großes Auf und Ab nach oben. Marco hat die ausgewiesene Alternative benutzt und gestöhnt, dass die immer auf und ab geht. Margarita, die vermutlich den rechtwinkligen Weg über den Berg genommen hat, haben wir noch nicht wieder gesehen.
Schon wenige Kilometer nach dem Start hatten wir die 100 km-Marke erreicht. Den ersten Stein mit einer zweistelligen Kilometerangabe bis Santiago wollte ich fotografieren, aber da hatte schon ein Raritätensammler das Messingschild mit der Entfernungsangabe geklaut. Da die Markierungssteine aber etwa alle dreihundert Meter und zusätzlich (!) an jedem Abzweig stehen, war die Chance groß, noch einen mit einer „99“ vor dem Komma zu finden.
Auf meiner Abkürzungsstrecke habe ich zwei Pilger kennen gelernt, die offenbar genauso pragmatisch rangegangen sind wie ich: zwei Israelis, die in Monforte gestartet sind und nach Santiago wollen, Gidon (?) und Norman. Ersterer, aus Polen stammend, etwa so alt wie ich, der andere, Norman (mit einem amerikanischen Pass) sicher jünger. Beide haben sie die Jakobsmuschel am Rucksack und Santiago als Ziel. Sie sind Juden, sehen das aber nicht als Hinderungsgrund, nach Santiago zu laufen. Sie machen es ja nicht aus religiösen, sondern aus touristischen Gründen, wie mir Norman erklärt hat, der in den letzten zwei Jahren schon fünf Caminos absolviert hat.
Die beiden Israelis sind in der gleichen Herberge wie Marco und ich abgestiegen und ich hatte sie schon als „Opfer“ für meine Weinflasche auserkoren. Da sie dich aber an der Rezeption vorgedrängelt haben, habe ich Abstand von dieser edlen Geste genommen.
Um es kurz zu machen: Die Flasche „Vazquez Regal“ mit der Nummer 3788621 aus dem Jahre 2015 gibt es nicht mehr. Ich habe mich ihrer sehr fürsorglich angenommen. Manuel sagte mir bei der Übergabe, dass ich diesen edlen Wein aus der „Ribeira Sacra“ mal zu einem guten Essen genießen soll. Dieser Augenblick war heute gekommen. Ich habe mir nämlich im hiesigen Supermarkt eine Büchse weißer asturischer Bohnen mit „Selectos Embutidos Asturianos“, d.h. mit ausgewählten asturischen Würsten besorgt und in der Mikrowelle verzehrfertig gemacht. Einfach lecker (2,75 € die Büchse), dazu wäre jeder billige Wein ein Sakrileg.
Aber ich will ehrlich sein. Ich habe nur eine halbe Flasche geschafft und den Rest in eine Plastikflasche für unterwegs umgetopft. Wer weiß, in welche Notsituationen man kommt.
Marco war schon zwanzig vor acht ganz aufgeregt in der Herberge herumgelaufen, so wie ein Kind zu Weihnachten vor dem noch verschlossenen Zimmer mit dem Gabentisch. In der Gaststätte unter uns gibt es nämlich erst ab acht Abendessen. Da er eineinhalb Stunden später mit einem strahlenden Gesicht zurückgekommen ist, muss das Essen gut und reichhaltig gewesen sein.
Die 15 €-Herberge ist übrigens sehr ordentlich. Hier sind auf einer Etage die Schlafsäle und der Aufenthaltsraum mit Küchenzeile und in der Etage darüber Einzel-, Doppel- und Mehrbettzimmer. Im Erdgeschoss befindet sich eine Kneipe. Direkt hinter dem Haus ist ein großer Fußballplatz. Wenn hier mal ein Länderspiel ausgetragen wird, findet man zwischen den Kleiderständern auf der Veranda einen hervorragenden Zuschauerplatz.
Nun ist es Zeit ins Bett zu gehen. Sollte ich morgen etwas Lallen, dann macht das nichts, denn es geht nach Lalin.
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Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 24 | ![]() |