Unterwegs von Madrid nach Santiago de Compostela
Tag 27 (Mo, 22.9.2025) - Von Silleda nach Outeiro / 24,1 km
Nachdem ich heute Morgen aus dem Fenster geschaut hatte, habe ich meinen Rucksack nochmal ausgeräumt und den Pullover rausgeholt, der ganz unten vergraben war. Draußen waren 7 Grad, da ist die Windjacke über dem T-Shirt nicht genug. Viel wärmer ist es den ganzen Vormittag auch nicht geworden. Es war bestimmt schon elf, als ich die Windjacke ausziehen konnte und vom Pullover habe ich mich erst auf den letzten 3 Kilometern bergauf getrennt. Aber zum Glück ist es den ganzen Tag über trocken geblieben.
Wie es in bergiger Gegend üblich ist, ging es heute immer wieder bergauf und bergab, wobei vormittags die Tendenz bei bergauf lag. Ich habe mich an manche Details entlang der Strecke erinnern können, unter anderem an die Bank, auf der ich im vorigen Jahr saß, nachdem mich ein Hund in die Ferse gezwickt hat, weil ich nicht ihn, sondern nur seinen Companion gestreichelt habe.
Damit mir sowas nicht nochmal passiert, habe ich heute alle Hunde gestreichelt, die mir begegnet sind. Gelegenheit dazu bestand zum Beispiel, als plötzlich vier Hunde auf dem Weg standen: ein großer, dicker, weißer mit Halsband, ein Windhund-ähnlicher und zwei kleine, noch ganz verspielte Hunde. Die sind dann auch mir bzw. drei spanischen Pilgern, die mich gerade überholt haben, ein ganzes Stück gefolgt oder besser: voraus gelaufen. Die kleinen sind zwischendurch ins Maisfeld gerannt, raus kam nur einer. Nun hatte ich nur noch drei um mich. Der dicke, der bestimmt auch schon ein paar Jahre auf dem Buckel hatte, blieb dann irgendwann stehen, weil er nicht mehr konnte oder wollte. Der vermeintliche Windhund, ein „Galgo“, wie mir später gesagt wurde, und der verbliebene kleine Hund waren weit voraus, haben dann aber gestoppt und sichtlich überlegt, ob sie weiter mit mir laufen, oder bei dem dicken bleiben. Sie haben sich für Letzteres entschieden und sind zu ihrem Kumpel zurück getrottet. Ich hoffe, dass der vierte inzwischen aus dem Maisfeld gefunden hatte und das so ungleiche Quartett wieder beisammen ist.
Kurz vor dem Dorf Castro war der höchste Punkt der Strecke erreicht und an den folgenden Abstieg zur Brücke über den Rio Ulla kann ich mich noch gut erinnern. Da schaut man zunächst von oben auf die Eisenbahnlinie, die aus einem Tunnel kommt, auf einer hohen Brücke das Tal überquert und gleich wieder in einem Tunnel verschwindet. Ein paar Minuten später ist man auf Augenhöhe mit der Brücke, sofern man sie durch das dichte Laub zu sehen bekommt. Und nicht viel später steht man zu Füßen des riesig hoch erscheinenden Bauwerks und schaut auf eine kleine, alte Kapelle, die zum Glück dem Brückenbau nicht weichen musste. Ringsum ist jetzt ein schöner Rastplatz, der leider ziemlich verschmutzt ist.
Es ging noch weiter bergab bis zur „Ponte Ulla“, einer alten Steinbogenbrücke über den Fluss, die dem kleinen Ort auf der anderen Seite des Flusses seinen Namen gegeben hat. Mein Plan war, dort einzukaufen und dann noch den Berg hoch nach Outeiro zu laufen, dem offiziellen Etappenziel, von wo aus es nur noch 16 km (vier Stunden) bis Santiago sind. Welch Schreck, als ich in Ponte Ulla vor dem großen, aber einzigen Supermarkt stand und dieser geschlossen war. Öffnungszeiten standen nicht dran und ich habe vermutet, dass der gerade zwecks Siesta zugemacht hat, weil es kurz nach zwei war. Später habe ich erfahren, dass dieser SPAR immer montags geschlossen hat, weil er sonntags geöffnet ist.
Vor diesem Hintergrund wollte ich in der Herberge von Ponte Ulla bleiben, weil es da wenigstens eine Gaststätte im Haus gibt. Aber die Herberge war voll. Ich hätte im gleichen Haus ein Hotelzimmer bekommen können. Als Alternative wurde mir auch eine nirgendwo erwähnte oder eingezeichnete Herberge dicht am SPAR genannt, wo man für 16 € unter­kommen kann. Das war zwar nicht weit weg, aber Lust zum Zurücklaufen hatte ich auch nicht. Also habe ich meinen ursprünglichen Plan, bis Outeiro zu laufen, wieder aufgegriffen. Zwecks Versorgung mit Essen und Trinken musste wie schon gestern eine Tankstelle herhalten.
Mit dem Eingekauften als zusätzliches Gepäck bin ich dann die 4 km von Ponte Ulla nach Outeiro den Berg hoch geschnaubt. Aber das war mir letztendlich lieber, als morgen den Tag mit einem solchen Aufstieg zu beginnen und vielleicht schon am Vormittag schlechte Laune zu bekommen.
Da ich im vorigen Jahr zum Abschluss der Via de la Plata schon mal in der Herberge von Outeiro war, wusste ich, was mich da erwartet: nichts. Das ist eine der modernen, irgendwo in die Wildnis gesetzten Herbergen, für die vielleicht der Architekt einen Preis bekommen sollte, aber die Galicische Regierung als Betreiber nur Schelte. Es gibt wie in allen kommu­nalen Herbergen in Galicien eine ganz tolle Küche mit Ceranfeldern, aber leeren Schränken. Was soll man mit einem Ceranfeld, wenn keine Töpfe und Pfannen da sind? Wer sowas dabei hat, hat auch einen Gaskocher im Gepäck und braucht kein Ceranfeld. Das einzige, was zu gebrauchen ist, sind Kühlschrank und Mikrowelle. Letztere natürlich nur, wenn man weder einen Teller für sein Gericht, noch eine Tasse fürs Getränk braucht. Ich musste mir im letzten Jahr von einem Mitpilger eine Tasse leihen, um mir einen Kaffee aufbrühen zu können. Dieses Mal habe ich in der letzten Herberge eine Wegwerf-Tasse mitgehen lassen und hoffe, dass die mikrowellentauglich ist. Als Essen habe ich was in Assiette genommen, das erübrigt den Teller.
Zwei Französinnen aus Saint Malo, die ich hier getroffen habe, schimpften wie die Rohr­spatzen, als sie die Küche gesehen haben. Sie haben sich vorhin nacheinander in einem Marmeladenglas Kaffee aufgebrüht.
Ich hoffe, dass es in dieser Nacht nicht wieder so kalt wird wie in der letzten, denn hier gibt es auch nicht die sonst überall üblichen Wolldecken. Knapp sind hier sogar die Steckdosen. In den beiden Schlafsälen sind fast alle durch die Verkleidungen der Betten verdeckt und in den beiden Aufenthaltsräumen gibt es jeweils nur zwei. Zwar hat jedes Bett an der kleinen Lampe eine (nur von Insidern zu findende) USB-Buchse, aber wenn man nicht im Bett liegend, sondern am Tisch sitzend was schreiben will, dann muss man sich in einem der Aufenthaltsräume einen Tisch an eine der wenigen Steckdosen schieben. Im Badezimmer der Herren gibt es neben zwei Pinkelbecken nur eine Kloschüssel, aber vier Duschen - alle dicht nebeneinander, ohne Abtrennung, mit Wasser nur von oben und mit fest eingestellter Temperatur, so wie man das aus Schwimmbädern kennt.
Einen Getränke- und Snackautomaten, der es erübrigen würde, alles hier hoch zu schlep­pen, sucht man natürlich auch vergebens. Aber dafür gibt es einen Herrn an der Rezeption, der von 13 bis 22 Uhr auf Gäste wartet. Heute hatte der mal richtig zu tun, da insgesamt acht Leute kamen und damit ein Viertel der Betten belegt ist. Im vorigen Jahr waren wir nur zu dritt und der Herr hat trotzdem den ganzen Nachmittag und Abend in seinem Glaskasten gesessen und auf dem Smartphone rumgeklimpert. Zum Putzen und Aufräumen kommt hier jemand anderes …
Und was die Beleuchtung angeht, hat man sich hier was ganz Besonderes einfallen lassen, wovon ich aber im vorigen Jahr schon erzählt habe. Es gibt im ganzen Haus keinen Lichtschalter. In den Schlafsälen geht bei einsetzender Dämmerung grauenhaftes Neon-Licht an, das dann irgendwann nach zehn, wenn alle längst eingeschlafen sind oder schlafen wollen, urplötzlich ausgeht. Morgen früh um sieben wird das Licht dann genauso plötzlich angehen, egal ob man noch schlummern will oder nicht.

Von Madrid nach Santiago de Compostela - Tag 27