Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela |
Tag 33 (Fr, 29.3.2024) Lubián - A Gudiña / 23,9 km
Heute früh führte mein Weg durch das ganze Dorf Lubián. An der verwinkelten Dorfstraße wechselten sich sehr schöne und heruntergekommene alte Häuser ab. Mittendrin ein Marktplatz, der wohl nie in dieser Größe gebraucht wird. Die Kirche war leider auch heute, am Karfreitag, geschlossen. Am Ortsende konnte man entweder rechts hoch zur Fernstraße oder links runter auf einer schmalen Straße und dann auf einem grob asphaltierten Waldweg zu einem großen Rast- und Fußballplatz an der Mündung des Rio Pedro in den Rio Tuela. Das sind beides recht reißende Bäche und ich hatte schon Sorge, dass ich durch eine Furt muss, aber da war eine richtige Brücke. Über allem spannte sich das Viadukt der Autobahn, die hier von einer Seite des Tales zur anderen Seite wechselt. Direkt dahinter und von weitem gesehen genau unter dem Viadukt steht eine barocke Klosterkirche, das „Santuario da Tuiza“, die natürlich verschlossen war. Gelegentlich finden aber Wallfahrten zu dieser Kirche statt. Unmittelbar dahinter taucht der Camino in den Wald ein, ich habe aber lieber den steilen Weg hoch bis zum Niveau der Autobahn genommen. Beim Aufstieg kam ich an einer kleinen Kapelle vorbei, die ganz dicht an der Einzäunung der Autobahn steht. Dort konnte man durch ein vergittertes Fenster reinschauen und geradezu in einer Nische Santiago, also den Hl. Jakobus, entdecken.
Dann ging es von der mühevoll erklommenen Höhe wieder steil runter und gleich wieder steil hoch bis zur N-525, die hier auf die Autobahn stößt und dieser folgt, mal links und mal rechts. Obwohl für heute kein Niederschlag angesagt war, begann es plötzlich zu schneien, sogar ziemlich kräftig. Aber es war viel zu warm, als dass davon was hätte liegenbleiben können. Als es auf den Berg zuging, der das Tal nach Westen abschließt, verliefen Fernstraße und Autobahn auf gleicher Höhe und dicht nebeneinander. Die beiden Fahrbahnen der Autobahn verschwanden in separaten, ca. 600 m langen Tunneln und ebenso die Fernstraße, deren ziemlich maroder Tunnel aber nur 400 m lang ist. Weil da keinerlei Auto kam, konnte man es sich sparen, auf dem löchrigen Gehsteig zu laufen und sich in die Gefahr zu begeben, auf die durchgerosteten Gitter der Regenrinne am Bordstein zu treten. Damit da kein Auto mit den Rädern reingerät, was unweigerlich die Reifen aufschlitzen würde, waren auf der ganzen Tunnellänge beidseits rot/weiße Kegel am Fahrbahnrand aufgereiht.
Über den Tunneln windet sich der Camino, der gerade den Canda-Pass mit
1262 m überquert hat, über den Hügel. Die Aussicht da oben soll grandios sein, wenn sie denn gegeben ist. Bei diesem Wetter wird das zumindest zurückblickend nicht toll gewesen sein. Ich habe beim Blick zurück nur gesehen, wie sich die vom Regen silbrig glänzende Autobahn durch die Suppe schlängelt.
Was man im Tunnel nicht gemerkt hat: es ging auch dort bergauf, denn auf der anderen Seite war ich plötzlich ein ganzes Stück über der Autobahn. Und wie das bei solchen Tunneln oft ist: auf der anderen Seite war anderes Wetter. Nicht, dass da plötzlich Sommer wäre, aber Regen und Schnee hatten aufgehört. Und was mich noch hinter dem Tunnel erwartete, war das Schild, dass man Galicien betritt. Nach Andalusien, der Extremadura, Kastilien und Leon ist das nun die vierte „autonome Gemeinschaft“ Spaniens (vergleichbar mit unseren Bundesländern), die ich durchquere.
Das Kartenprogramm zeigte an, dass es in knapp fünf Kilometer Entfernung eine Tankstelle gibt. Da werde ich mindestens einen Kaffee-Automaten finden. Aber es kam viel besser. In dem relativ kleinen Verkaufsraum der Tankstelle gab es eine Bar mit Kaffeemaschine und Zapfhahn und unter Glas lockten Empanadas mit Thunfisch oder Fleisch - backblechgroße Teigtaschen. Für 2,50 € habe ich da fast ein Viertel des Backbleches auf den Teller gelegt bekommen. Das hat als Essen bis zum Abend gereicht. Als ich gut gestärkt und ebenso gelaunt aus der Tankstelle trat, hatte es leider zu regnen begonnen. Also habe ich den Regenponcho rausgeholt und mir diesen mit freundlicher Unterstützung der Tankwartin über Mann und Gepäck gezogen. Da musste er auch bis zu meinem Zielort bleiben, denn es hörte nicht wieder auf zu regnen. Einmal habe ich noch in einem Restaurant Pause gemacht, ansonsten bin ich ohne Halt bis A Gudiña durchgelaufen. Das letzte Stück ging bergab und es bot sich ein guter Blick auf die Stadt, die zwar selbst nicht viel zu bieten hat, aber von Verkehrs-Infrastruktur nur so strotzt. Am linken Bildrand sieht man die Autobahn, die sich tief eingeschnitten in einer ziemlich engen Kurve an der Stadt vorbei zwängt und von diversen Brücken überspannt wird. Dann die N-525, die sich durch die Stadt zieht, und am rechten Bildrand die Schnellzug-Trasse, die mal wieder im Tunnel (je Fahrtrichtung einer) verschwindet. Kurz vor der Stadt stößt der auf mehr oder weniger schmalen Pfaden an den Berghängen verlaufende Camino auf die Straße und da sehe ich auch den ersten der in Galizien üblichen Markierungssteine mit Jakobsmuschel und Kilometerangabe bis Santiago - und falle bald um, denn da steht was von 232 km. Bald nachdem ich losgelaufen bin, stand ein kastilisch-leonischer Stein am Weg, der 217 km verkündete. Da ich seit dort gut 15 km gelaufen bin, hatte ich rund 200 km als Angabe erwartet. Statt 15 km weniger sind es aber 15 km mehr geworden. Da zeitgleich auf dem Smartphone die Meldung „Willkommen in Portugal“ eintraf, gefolgt von allen möglichen Details zu den Tarifen in Portugal, dachte ich schon, ich bin die 15 km in die falsche Richtung gelaufen. Aber einen Schlagbaum habe ich nicht passiert! Verzweiflung. Aber A Gudiña war immer noch mit einer einstelligen Kilometerangabe ausgeschildert. Und dann war ich auch schon da. Am Ziel habe ich erstmal den Wanderführer konsultiert und der sagt, dass sich hier der Camino gabelt. Auf dem im Wanderführer beschriebenen Weg über Laza, den ich nehmen werde, sind es wirklich nur noch 200 km, auf der alternativen Variante, welche weiter südlich durch die Berge verläuft, sind es 30 km mehr.
Das war aber nicht die letzte Verwirrung, denn in A Gudiña zeigten die „Albergue“-Schilder in eine ganz andere Richtung, als der Weg zur Herberge in der App eingezeichnet war. Außerdem hatte die Herberge einen anderen Namen. Aber auch das hat sich zum Guten aufgeklärt. Die ursprünglich abseits hinter dem Bahnhof gelegene „Albergue de Peregrinos“ heißt jetzt nur noch „Albergue de A Gudiña“ und ist in ein Haus direkt an der Hauptstraße gezogen. Das ist ein altes Haus, das aber sehr aufwändig aufgemotzt wurde - mit selbst öffnender Glastür, Freitreppe, Fahrstuhl und Foyers auf jeder Etage. Es gibt sehr gute Sanitäranlagen, Fußbodenheizung usw. - aber weder Topf noch Teller und Besteck in der Küche. Dafür eine Dame, die dort den ganzen Nachmittag bis 22 Uhr sitzt, um von den Eintreffenden die 10 € Übernachtungsgebühr zu kassieren - heute waren das fünf: Ivor, Kees, Ich und ein spanisches Paar.
Dank meines Plastik-Spielzeugmessers habe ich mir nach meiner Ankunft trotz der dürftigen Küchenausstattung Stullen schmieren können und musste mich nicht wie Ivor und Kees auf die allabendliche Restaurantsuche begeben. Die Zeit, bis die beiden zurückkamen, hat sogar für ein Schlummerchen gereicht.
Wie schön, wieder eine geheizte Herberge zu haben. Dank der Fußbodenheizung brauchte ich die nassen Socken und Hosen zum Trocknen nur auf den Boden fallen lassen. Auf einem besonders warmen Fleck habe ich meine Schuhe platziert, damit die gut trocknen. In der Tankstelle, in welcher ich mittags eingekehrt bin, habe ich nämlich Klebstoff bekommen, mit dem ich die beiden Löcher in der Sohle des linken Schuhes dicht machen will. Dazu muss der aber richtig trocken sein. Bevor ich zur Tat schreiten konnte, kam aber Kees vom Essen mit der Nachricht zurück, dass ganz in der Nähe ein Krämerladen geöffnet hat, in dem man einschließlich Schuhen einfach alles bekommt. Da bin ich hin und tatsächlich fand sich hinter Regalen mit Lebensmitteln, Drogerieartikeln, Schreibwaren, Kinderspielzeug, Nippes, Bekleidung usw. eine ganze Schuhabteilung mit einem gar nicht mal so schlechten Angebot. Aber natürlich nicht zu Discounterpreisen. Ich hab dann tatsächlich was Brauchbares gefunden. Keine Wanderschuhe für den Rest des Lebens, aber stabile Laufschuhe mit fester Sohle, die mich hoffentlich bis Santiago bringen werden. Da man in südlichen Ländern angeblich immer handelt, habe ich den Preis sogar noch auf Deichmann-Niveau gedrückt. Meine anderen Schuhe werde ich aber nicht gleich wegschmeißen, sondern morgen noch flicken, falls ich mit den neuen, noch nicht eingelaufenen Schuhen Probleme habe.
Mit viel Mühen habe ich in der Herberge sogar eine WLAN-Verbindung hinbekommen. Da muss man sich mühevoll mit einer galicisch-kommunalen Software registrieren, die immer wieder die angegebene Email-Adresse als unzulässig beanstandete. Da dämmerte mir, dass man in das Feld „Email“ die Telefonnummer eingeben muss, weil man ja das Passwort per SMS bekommen soll. Das hatte ich doch schon mal … Und genau das war das zweite Problem. Da in allen galicischen kommunalen Herbergen, die mit dieser Software gesegnet sind, die Funknetze den gleichen Namen haben, hatte ich von einem früheren Camino noch ein Login mit einem nun nicht mehr gültigen Passwort gespeichert. Bis ich wie Boris Becker einst in der AOL-Werbung „Bin ich denn schon drin?“ brabbeln konnte, hat das also eine ganze Weile gedauert.
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Via de la Plata - Tag 33 |