Unterwegs auf der Via de la Plata und dem Camino Sanabrés von Sevilla nach Santiago de Compostela
Tag 34 (Sa, 30.3.2024) A Gudiña - Laza / 35,7 km
Heute stand ein langer Tag auf dem Programm, 34 km von A Gudiña nach Laza. Und das bei Regen, mit neuen Schuhen und einer Hundewarnung auf dem Smartphone. Andreas und Bastian, die mir einen Tag voraus sind, haben mir geschrieben, dass sie in Venda da Teresa, dem zweiten Dorf an der Strecke, von zwei wilden Hunden attackiert wurden, die sie mit ihren Stöcken kaum abwehren konnten. Die wollten immer beißen und haben zumindest Bastians Rucksack erwischt. Die beiden waren aber schon vorgewarnt, weil eine Pilgerin auf Facebook geschrieben hat, dass sie an gleicher Stelle von sogar drei Hunden angegriffen wurde. Ich habe mir deshalb schon am Ortsausgang von A Gudiña einen dicken Knüppel gegriffen und diesem den halben Tag mitgeschleppt. Irgendwann kam mir aber die Erkenntnis, dass man mit einem Knüppel bei zwei Hunden nicht viel ausrichten kann. Aber erstens fand sich kein zweiter und zweitens hätte ich den mit meinen klammen Fingern nicht auch noch halten können. Ich habe den einen Knüppel schon immer von einer Hand in die andere genommen, um immer eine wieder aufwärmen zu können. Letztlich habe ich den unter den Arm geklemmt und beide Hände in den Taschen verstaut - wohl wissend, dass mich das im Ernstfall Sekunden kosten kann. Ich war sehr erleichtert, dass kurz vor besagtem Dorf Ivor und Kees zu mir aufgeschlossen haben. Meinem Vorschlag, das Dorf auf der Landstraße zu umgehen, wollten sie aber nicht folgen. Sie waren der Meinung, dass drei Mann bei drei Hunden ein ausgeglichenes Verhältnis ist. Also sind wir mutig durch dieses Geisterdorf. Links waren die Reste alter Natursteinhäuser, alle ohne Dach. Rechts standen etwas neuere Häuser, die aber alle unbewohnt schienen und auch nicht weit vom Verfall entfernt waren. Nur am Ende des Dorfes, da wo die Attacken stattgefunden haben, gab es ein bewohntes Haus. Ich bezweifle, dass man im Notfall von den Bewohnern Hilfe bekommen hätte. Die leben womöglich von den Hinterlassenschaften totgebissener Pilger.
Wir sind da also furchtlos (ich zumindest äußerlich) durch das Dorf gezogen - und nichts passierte. Bei dem grauenhaften Wetter haben sich vermutlich die Hunde davor gegraut, aus ihrem Versteck zu treten. An unserer zahlenmäßigen Stärke hat es sicher nicht gelegen, dass sie sich zurückgehalten haben. So ganz erleichtert war ich aber noch nicht, weshalb ich den langen, dicken Knüppel noch eine ganze Weile mitgeschleppt habe. Der Weg führte dann hoch auf eine Bergkette und verlief über einige Kilometer als ein Kammweg in etwa 1100 Meter Höhe. Da war man mitten in den Wolken und der Niederschlag kam von allen Seiten: von oben als Regen, von vorn als eisiger, nasser Wind und von unten direkt unter den Regenponcho als Nebel, der von den Tälern aufstieg. Die Sichtweite betrug vielleicht 100 Meter. Das heißt, dass man außer dem Erika, das die Hänge bedeckt, nicht viel sehen konnte. Bis ins Tal runter konnte man nicht schauen, denn das lag 2…300 Meter unter uns. Von dem großen Stausee des Rio Camba rechts neben uns hat man erst was gesehen, als es vor Campobecerros ein ganzes Stück runter ging. Dann hat man auch erst die Tunneleingänge und Brücken der Regional- und der Schnellbahn entdeckt, die fast in jedem der Seitentäler zu sehen waren. Imposante Anblicke. Bei schönem Wetter muss es großartig sein, hier zu laufen. Kurz vor Campobecerros hörte es sogar mal einen Moment auf zu regnen. Da war es nach elf und wir hatten somit schon vier Stunden ziemlich heftigen Regen hinter uns. Meine neuen Schuhe haben das ganz gut mitgemacht und waren etwa eine halbe Stunde später innen nass, als es meine alten gewesen wären. Aber: mangels Löchern in der Sohle floss hier das Wasser nicht ab. Man kann halt nicht alles haben.
In Campobecerros ist zwar die einzige Herberge auf der Etappe zu, aber die kleine Kneipe hatte offen, so dass wir zu einem Kaffee kamen und uns etwas aufwärmen konnten. Man musste bloß aufpassen, dass man von den dort herumtollenden Kindern nicht mit dem Laufrad angefahren wird. Als wir rauskamen, hatte es leider schon wieder zu regnen begonnen. Es ging zwar erneut ein Stück bergauf, aber nicht bis über die Wolkengrenze. Da durfte man sich freuen, dass es nur normalen Regen und nicht den Eisregen vom Vormittag gab. Nun konnte man auch immer mal kleine Siedlungen im Tal oder am gegenüber liegenden Hang entdecken. Wirklich schön und wie gesagt, bei Sonnenschein sicher großartig. Bald begann dann ein ziemlich steiler Abstieg, der ganz schön in die Waden und auf die Gelenke ging. Die steife Traktorsohle meiner neuen Schuhe hat sich da gar nicht gut gemacht. Mit den alten, gummibesohlten Schuhen hätte ich wie Schmidtchen Schleicher heruntertänzeln können.
Egal, kurz nach vier war Laza erreicht. Ich wusste, dass man sich im Ort bei der ständig besetzten Rettungsstation den Schlüssel für die Herberge holen muss. Aber da Ivor und Kees vor mir waren, dachte ich, dass sie das schon gemacht haben. In der Herberge habe ich aber nur ihre Rucksäcke vorgefunden. Durch eine unverschlossene Hintertür bin ich rein und habe meinen daneben gestellt. Auf dem Weg zur Rettungswache habe ich die beiden getroffen, die ihre Schlüssel schon hatten. Da man in der Wache auch gleich einchecken und bezahlen musste, bin ich aber weiter und habe nach der Anmeldeprozedur gleich noch fürs Abendbrot eingekauft. Die Herberge von Laza ist ein ganz moderner, flacher, U-förmiger Bau aus dem Jahre 2002. Ein Flügel enthält die 5 Schlafräume für insgesamt 35 Pilger, ein anderer den Aufenthaltsraum mit Tischen, Stühlen und Sesseln. Im verbindenden Flügel sind die Sanitärräume und die ganz gut eingerichtete Küche. Alles ist sehr ordentlich und jedes Bett hat eine Leselampe und USB-Anschluss. Hier kann man also das erstbeste Bett nehmen, anderswo muss man ja die Wahl danach treffen, wo eine Steckdose in Bettnähe ist. Der Kaufmannsladen im Ort hat zwar kein riesiges Sortiment, aber ich habe alles gefunden, was man für ein ordentliches Rührei braucht. Danach gelüstete mir mal wieder, denn mal gab es keinen Herd oder keine Küchenutensilien und mal war kein Laden in der Nähe.
Es hat auch heute abend fast andauernd geregnet. Nun müsste der Wasservorrat in den Wolken bald mal aufgebraucht sein. Morgen steht eine ähnlich lange Etappe wie heute an und es wäre ärgerlich, wenn wir auch diese im Regen laufen müssten. Wir wollen bis Xunqueira de Ambía, wo es wie hier eine moderne 10 €-Herberge gibt. Dann folgt nur noch eine relativ kurze Etappe bis Ourense, der Hauptstadt der gleichnamigen Provinz. Von dort sind es gut
100 km bis Santiago, also jene Entfernung, die man mindestens gelaufen sein muss, um in Santiago die „Compostela“, das heißt die Pilgerurkunde zu erhalten. Ich bin gespannt, wie viele Pilger in den nachfolgenden Herbergen sind.

Via de la Plata - Tag 34