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Unterwegs auf dem Camino Primitivo von Oviedo nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 4 (Do, 5.9.2024) Tineo - Pola de Allande / 29,6 km
Ich befürchte, dass man mich irgendwann nicht mehr einreisen lässt. Immer, wenn ich im Land bin, regnet es. Die Bauern, die sich vermutlich über den Regen freuen, wissen leider nicht, dass ich schuld daran bin. Sonst würden sie mich sicher in einer Sänfte über die Berge tragen.
Also: heute gab es mehr Regen als Regenpausen. Keine starken Regengüsse, aber immer so viel, dass man den Poncho überziehen musste. Die Temperatur wurde mit 13 Grad angegeben. Auf manchen Pfaden war es sicher noch kälter, weil je nach Lage mitunter ein ziemlich scharfer, kalter Wind wehte. Gestern hat man das Wetter noch viel erträglicher vorhergesagt.
Kaum hatte ich heute Morgen den im Dunkeln getippten Bericht und die Fotos weggeschickt, ging plötzlich das Licht an. Ob die Stromsperre gewollt oder ungewollt war, habe ich nicht herausbekommen. Wie befürchtet erwiesen sich die Sanitäranlagen als etwas knapp bemessen. Aber da es heutzutage nicht vom äußeren Erscheinungsbild, sondern vom eigenen Gefühl abhängt, ob man Männlein oder Weiblein ist, habe ich mich heute mal so gefühlt, als ob die Damentoilette für mich die richtige wäre. Für diese gab es erfreulicherweise gerade keine Anwärterinnen, während vor der Herrentoilette Gedränge war. Mit mir ist nämlich eine fünfköpfige Gruppe junger Männer im Abiturientenalter aufgestanden und zeitgleich in Richtung Klo geeilt - bis auf einen, der schon dabei war, alle mit Blasen verzierten Zehen mit Pflastern zu umwickeln. Für die Damentoilette sprach auch, dass im Männerklo offenbar nachts einige versucht haben, in absoluter Finsternis stehend die Porzellanschüssel zu treffen. Als ich um halb acht losgezogen bin, war es noch ziemlich dunkel, weil alles in Nebel oder Wolken gehüllt war und es zudem bereits regnete. Erst als ich schon ein ganzes Stück den Berg hochgelaufen war, bildeten sich ein paar Wolkenlücken und gaben den Blick frei auf einzelne Teile der Stadt. Das war ein ganz imposantes Schauspiel. Bei einem der Ausblicke bin ich auf „Mexi“ (Margret, die mal ein Junge namens „Max“ werden sollte) gestoßen - eine pensionierte schweizerische Informatikerin, die seit ein paar Jahren verwitwet ist und nun allein diverse Jakobswege absolviert. Mit der bin ich eine ganze Weile schwatzend gelaufen. Vom Schweizerdeutsch habe ich zwar auch nicht alles verstanden, aber mehr als bei den Amerikanern, von denen hier einige unterwegs sind. Die Ärmste ist unfreiwillig mit einem kleinen Beutelchen auf dem Rücken unterwegs. Sie ist vorgestern auf dem Weg von einer Hornisse gestochen worden und mit tiefroter und dick angeschwollener Schulter- und Brustpartie in Salas zum Arzt gegangen, der ihr Cortison in allen Darreichungsformen verordnet und das Rucksacktragen für mindestens fünf Tage verboten hat. Nun muss sie immer ihr Gepäck zur nächsten Herberge transportieren lassen (was hier wie auf den anderen Wegen für je 5 € möglich ist) und die Unterkünfte vorbuchen, da man ja einen Zielort des Gepäcks angeben muss. Darüber ist sie gar nicht glücklich, da sie genau wie ich lieber läuft, bis sich Müdigkeit einstellt, statt sich vorher festzulegen. Bei einem der Aufstiege musste ich sie laufen lassen, weil mir sehr nach einer Pause war, während sie noch munter vorwärts stapfte. Na, vielleicht sehen wir uns nochmal. Die hübsche junge Südafrikanerin habe ich gestern Abend nahe der Rochus-Kapelle auch wiedergetroffen und endlich mal nach ihrem Namen gefragt: Zoe. Ich dachte, sie wohnt vielleicht in Europa, aber nein, sie ist extra wegen dem Jakobsweg nach Europa gekommen. Damit es sich lohnt, hat sie im französischen Le Puy begonnen, ist von Saint-Jean-Pied-de-Port entlang der Pyrenäen nach Irun gelaufen und hat dann den Camino del Norte bis Oviedo genommen. Bis hier waren das 79 Tage und 1.500 km. Als ich ihr sagte, dass sie sich beeilen soll, weil die Herberge schon ziemlich voll ist, meinte sie, dass dies kein Problem sei, weil sie ja ein Zelt dabei hat. Und tatsächlich schleppt sie scheinbar mühelos einen riesigen Rucksack durch die Gegend. Alle Achtung! Heute stand nach etwa 15 km die Entscheidung an, ob man den Weg über Hospitales oder über Pola de Allande nimmt. Ersterer geht ab da bergauf und verläuft dann auf etwa gleicher Höhe, vorbei an den Ruinen alter Herbergen (Hospitales). Der andere bleibt auf ursprünglicher Höhe und geht sogar bergab, um dann steil nach oben zu dem Punkt zu führen, wo sich beide Wege in der Nähe eines Passes treffen. Von den Höhenmetern nehmen sich also beide Wege nicht viel. Letzterer ist zwar ein Stück länger, bietet aber zwischendurch Unterbringungsmöglichkeiten, während der andere auf 20 km keine Herbergen hat. Wenn man den Weg über Hospitales gehen will, sollte man schon in Borres, kurz vor der Gabelung des Weges, Quartier nehmen. Da beim aktuellen Wetter ohne Fernsicht nichts für den Höhenweg sprach, blieb eigentlich nur der Weg über Pola de Allande. Der Ort bot sich auch gleich als Etappenziel an, da er knapp 30 km von Tineo entfernt ist und mehrere Herbergen hat. Anders als „vorgeschrieben“ bin ich die letzten Kilometer wieder auf der Straße gelaufen, weil die Wege durch den Regen ziemlich aufgeweicht bzw. rutschig waren und es zuletzt doch recht steil bergab ging. Ich habe zwar nichts gegen schlüpfrige Witze, aber schlüpfrige Wege sind nicht mein Ding. Darum bin ich lieber zwei, drei Kilometer mehr auf der in weiten Bögen langsam bergab führenden Straße gelaufen, als auf den steilen, rutschigen Wegen durch den Wald. Um vier war ich in Pola de Allande und habe mich da gleich zur Herberge „Donativo Polagrino“ begeben, was sich als ein Glückstreffer herausstellte. Es ist ein ziemlich herunter gekommenes Haus, das wie ein Museum mit altem Kram vollgestellt ist und nicht viel Luxus, aber eine einladende Atmosphäre bietet. Ein Holländer, der heute den ganzen Nachmittag im Overall und mit Rohrzange rumgerannt ist, hat das Haus kurz vor Corona gekauft und richtet es jetzt nach und nach her. Es finden sich offenbar auch immer wieder ganz leicht Freiwillige, die hier helfen. Gerade habe ich eine Weile mit Wolfgang aus Nürnberg, geschätzt Mitte 50, geschwatzt, der zum wiederholten Male für ein paar Tage hier ist, um zu helfen. Ein älterer Spanier hat uns zum Abendrot bekocht und für den sonstigen Herbergsbetrieb sind gerade zwei junge Schwedinnen und eine Australierin für zwei Wochen hier - freiwillig, ohne Bezahlung, für freie Kost und Logis. Denen allen macht es Spaß, auf diese Weise viele neue Menschen kennenzulernen und die Sprachkenntnisse zu erweitern. Das Verhältnis zur Gästezahl ist wie auf einem Kreuzfahrtschiff, denn es gibt nur 15 Betten und die sind gar nicht alle belegt. Zwei Polen sind hier, die anderen sind alles junge Spanier, die jetzt einen Tisch weiter Karten spielen, nachdem schon mal eine Gitarre und mehrere Stimmbänder zum Einsatz kamen. Eine wirklich nette Stimmung, da verzichtet man gern mal auf Luxus. |
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Camino Primitivo - Tag 4 | ![]() |
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