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Unterwegs auf dem Camino Primitivo von Oviedo nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 5 (Fr, 6.9.2024) Pola de Allande - La Mesa / 25,8 km
Heute früh klingelte um halb sechs der Wecker - nicht meiner, sondern der im Bett gegenüber. Mein Zimmer war ja leider nicht so leer geblieben. Als ich kam, war ich der Einzige und konnte mir ein Bett aussuchen. Gleich danach kamen aber drei Spanier, ein junger Mann und ein Pärchen. Einer von denen musste schon oben schlafen. Das war nun ausgerechnet das etwas füllige Mädel. Wie sie ins Bett gekommen ist, weiß ich nicht, raus kam sie jedenfalls nur mit Hilfe ihres Freundes. Ich habe ganz gebangt zugeschaut. Wenn sie beim Rausklettern gestürzt wäre, hätte eventuell ihr Freund seinen letzten Atemzug getan.
Also, der allein reisende Herr mit dem Wecker ist auch gleich rausgesprungen, hat seinen Kram zusammengepackt und ist verschwunden. Eine halbe Stunde später, also um sechs, hat das Pärchen nach besagter Kletterpartie mit dem Einpacken begonnen und dabei unter Beweis gestellt, wie weit man mit einer Smartphone-Lampe leuchten kann und dass man bei geschickter Drehbewegung einen ganzen Schlafraum ausleuchten kann. Als die dann zum Frühstück aufgebrochen sind, habe ich mich aus den Federn gequält. Als Letzter konnte ich nun auch die richtige Zimmerbeleuchtung einschalten, die viel angenehmer war, als die Smartphone-Strahler. Zum Frühstück war im Erdgeschoss, wo wir schon am Abend zusammen Bohneneintopf und Tortilla gegessen haben, alles fürs Frühstück aufgebaut: Brot, Margarine, Marmelade, Cornflakes, Müsli, Milch und natürlich Kaffee. Ich konnte das Sortiment noch um zwei am Abend zuvor gekaufte Wurstpäckchen ergänzen, wofür sich aber zum Glück außer mir kein Interessent fand. Nach Hinterlegung einer angemessenen Spende für Unterkunft und Verpflegung habe ich mich um halb acht, als es langsam hell wurde, auf den Weg gemacht. Ab dem Ortsausgang ging es bergauf, woran sich die nächsten vier Stunden nichts ändern sollte. Der ausgeschilderte Weg führte bald links weg von der Straße. Ich bin ganz brav den Schildern gefolgt, aber nachdem es auf den ersten zweihundert Metern wiederholt hoch und runter ging, bin ich bei der nächsten Gelegenheit wieder auf die Straße, zumal es zu regnen anfing und die Geröllpiste rutschig wurde. Ich bin dann auch bis zum Pass auf der Straße geblieben, was zwar sicher doppelt so lang, aber nur halb so steil war. Viel Verkehr war ja nicht und auf der Straße gab es nicht die Gefahr, ins Rutschen zu kommen oder im Schlamm steckenzubleiben. Auf der Straße, aber auch auf dem erst moderat, zum Schluss jedoch sehr steil ansteigenden Weg steckte man heute schon lange vor Erreichen des Passes in den Wolken. Es war recht kalt, der Regen peitschte und es blies ein kräftiger, eiskalter Wind. Alles zusammen ergab eine Temperatur, die gefühlt deutlich unter den angezeigten 10 Grad lag. Irgendwann war dann gar nichts mehr zu sehen. Auf dem Pass „Puerte de Pola“ mit seinen 1146 Metern steckte man mitten in den Wolken und außer Regen und Kälte war da nichts. Für den Abstieg habe ich den offiziellen Weg gewählt, der zwar schwer zu laufen, aber deutlich kürzer als die Straße ist, die in weiten Bögen ins Tal führt. Das Abwärtslaufen auf dem nassen Geröll ging tatsächlich ganz schön auf die Fußgelenke. Nachdem zwei Straßenkehren abgeschnitten waren, lag plötzlich ein winziges, verlassenes, aber noch nicht verfallenes Dorf vor mir. Der Weg führte vorbei an den zwei neuzeitlichen Häusern und einigen Ställen sowie anderen Wirtschaftsgebäuden, die wie die Einfriedungen aus Felsbrocken bestehen, welche hier in großen Feldern an den Berghängen liegen und die Wege so schwer passierbar machen. Das Ganze sah ziemlich gespenstisch aus. Leider gab es da nirgendwo die Gelegenheit, sich mal hinzusetzen. Nur kalte Steine und Wind und Regen von allen Seiten. Hier habe ich es leider versäumt, wieder auf die Straße zu wechseln, die fortan in nicht so großen Kurven ins Tal führt. Der Camino verläuft hingegen unsinnigerweise noch ein ganzes Stück aufwärts und knapp an der nächsten Bergkuppe vorbei. Runter geht es dann ziemlich steil auf felsigem Grund, bis die Straße erreicht ist, die man hätte nehmen können, ohne solche Strapazen zu erleiden. Hier stand doch tatsächlich mal ein Haltestellenhäuschen und ich konnte etwas vor Wind und Regen geschützt nach fünf Stunden Wandern endlich eine Pause machen und mein eigentlich für den Pass vorgesehenes Glückwunsch-Getränk zu mir nehmen. Wie ich da so sitze, kommt ein Taxi, vollgepackt mit Pilgern vorbei. Die Dame auf dem Beifahrersitz hat ein so markantes Gesicht, dass ich sie sofort erkannt habe: Jennifer, eine Französin, die furchtbar nerven kann. Die war in Tineo in der Herberge und hat jeden vollgelabert, auch wenn er deutlich zu erkennen gegeben hat, dass er gerade lesen, schreiben oder telefonieren wollte. Mit dem Taxi kommt man gut voran! Ab besagter Haltestelle habe ich wieder abwechselnd den „richtigen“ Weg oder die daneben verlaufende Straße benutzt. Letzteres, damit sich die inzwischen arg strapazierten Fußgelenke etwas erholen können. Mein Tagesziel war Berducedo, das erste mit Herbergen versehene Dorf hinter dem Pass. Es hatte sich zwar schon rumgesprochen, dass da alles voll ist, aber die Hoffnung stirbt zuletzt. Eigentlich steht bei einigen Herbergen, dass man nicht reservieren kann. Da wundert es einen, dass die schon am Tag zuvor als „voll“ gemeldet werden. Früher konnte man wohl wirklich nicht in den kommunalen Herbergen ein Bett reservieren. Das ist erst seit Corona erlaubt und nicht wieder abgeschafft worden. Ich habe in Berducedo gleich die erste Herberge angesteuert, die kommunale Herberge mit 24 Betten. Da war es halb drei und an der Tür hing wirklich ein Zettel „voll“ und drinnen waren tatsächlich schon viele Pilger am Rumwuseln. Ob wirklich alle Betten belegt, oder manche nur reserviert waren, weiß ich nicht. Ein Hospitalero, den man hätte fragen können, war nicht zu finden. Da kam ein spanisches Mädel, das mich hinter dem Pass überholt hatte, auf mich zu und hat mir ihr Zelt angeboten, da sie noch einen Platz in der Herberge ergattert hat. Das fand ich furchtbar nett, aber da ich mich für solchen Campingurlaub schon etwas alt fühle, habe ich dankend abgelehnt und ihr gesagt, dass ich es im nächsten Ort probieren will. Sie war sehr skeptisch, dass ich da was bekomme, weil es dort nur eine relativ kleine Herberge gibt. Ich solle unbedingt vorher anrufen und vielleicht doch lieber das Zelt nehmen. Ich habe wirklich gleich in der Herberge von La Mesa angerufen und sogar die Chefin erreicht, aber sie konnte mich offenbar nicht hören, während ich sie verstanden habe. Nachdem ich der Form halber in Berducedo noch in einer zweiten Herberge ergebnislos nach einem Bett gefragt habe, bin ich einfach losgelaufen. Bis La Mesa sind es knapp fünf Kilometer, allerdings ein ganzes Stück davon bergauf. Kurz vor vier war ich da und bin in der privaten, zu einer Gaststätte gehörenden Herberge gleich mit der Frage empfangen worden, ob ich denn reserviert hätte. Da konnte ich der Dame meine Anrufliste mit ihrer Nummer zeigen und sagen, dass ich es ja probiert habe. Verbunden mit meinem weinerlichen Blick und einem herzzerreißenden Augenaufschlag hat das bewirkt, dass die Dame doch noch ein freies Bett gefunden hat. Ich glaube, die Gastwirte haben alle noch was in Reserve. Hier sind es vier Doppelstockbetten in einem Nebengebäude. Die eigentliche Herberge ist über der Gaststätte. Da bis dahin erst drei Mann in diesem Separé waren, habe ich dort sogar noch ein Bett im Unterdeck bekommen. Gerettet. Andernfalls wären noch 15 km über die Berge nach Grandas de Salime fällig gewesen, was vor dem Dunkelwerden kaum zu schaffen gewesen wäre. Nach einem kühlen Bier und einer warmen Dusche war die Welt wieder in Ordnung. Unter den drei vorgefundenen Schlafgenossen fand sich sogar ein Deutscher, Wolfgang aus dem Hunsrück, mit dem ich später rüber in die Gaststätte zum Essen bin. Da bin ich gleich mit „Hallo“ von den beiden Polen begrüßt worden, die gestern mit in der Herberge waren. Einer davon, Lukasz, spricht ein wenig Deutsch, weil er zeitweise bei Stuttgart wohnt und sich dort sein Geld als Kraftfahrer verdient. Mit ihm habe ich gestern eine ganze Weile geplaudert. Und wer war da noch in der Gaststätte? Jennifer. Ich konnte mir nicht verkneifen, sie zu fragen, wie die Taxifahrt war. Zur Strafe bekam ich eine lange Erklärung, warum und weshalb sie mit dem Taxi gefahren ist. Zum Glück kam dann der Kellner, um die Bestellung aufzunehmen, weshalb ich leider die so einseitige Konversation abbrechen musste. Wolfgang und ich haben das Tagesmenü für 15 € genommen, das man andernorts sogar noch preiswerter bekommt: als Vorspeise ganz leckere Bohnensuppe mit würziger Wurst oder Spaghetti mit Schinken, als Hauptgericht Kabeljau oder Rindfleischwürfel mit Pommes, dazu jeder eine halbe Flasche Wein, Kaffee und Nachtisch. Das war alles sehr lecker und ich bin jetzt richtig satt und zufrieden. |
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Camino Primitivo - Tag 5 | ![]() |
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