Unterwegs auf dem Camino Primitivo von Oviedo nach Santiago de Compostela
Tag 6 (Sa, 7.9.2024) La Mesa - Grandas de Salime / 15,7 km
Von den acht Betten im Separé der Herberge von A Mesa ist sogar noch eins freigeblieben. Die ganze Reserviererei bringt nichts und ich verstehe nicht, warum das praktiziert wird.

Ich habe ganz gut geschlafen, problematisch war nur, dass wenig Platz zwischen den Etagen des Bettes war und nicht mal ich auf der Kante sitzen konnte, weil der Kopf dann nicht mehr unters Oberdeck gepasst hat. Zu allem Überfluss schauten da, wo man ins Bett einsteigen soll, zwei Schrauben aus dem oberen Gestell, gegen die ich natürlich jedes Mal beim Ein- oder Aussteigen gerammelt bin. Mein Kopf ist davon mächtig zerschrammt.

Um auch nachts ohne viel Kramen an alle Sachen zu kommen, habe ich mir mal angewöhnt, meine kleinen Nylon-Säckchen mit Waschzeug, Wäsche usw. am Lattenrost des Ober­mieters zu befestigen, d. h. irgend ein Band des Säckchens unter eine der Latten zu klemmen und das Säckchen baumeln zu lassen. Das ist unheimlich praktisch und beim Einpacken vergisst man nicht so schnell was. Blöd ist nur, wenn der über einem noch hart­näckig schläft, wenn man einpacken will. Da muss man ganz schön an den eingeklemmten Bändern zotteln, um diese wieder unter den Latten hervorzubekommen. Das muss man zudem sehr behutsam machen und nicht mit dem Finger nachhelfen, damit der über einem nicht denkt, dass man ihn durch die Matratze kitzeln will.

Heute Morgen hat doch ausgerechnet mein deutscher Mitbewohner um fünf zu packen angefangen und ist bald danach los. Das ist auch so eine Unsitte. Ganz leise geht das Packen nie. Und wenn man sich schon vor dem Zähneputzen die Wanderschuhe anzieht, dann haben alle im Zimmer was davon. Um viertel sieben hat dann mein Obermieter seinen Flakscheinwerfer auf der Stirn eingeschaltet und damit beim Zusammensuchen seiner Sachen das ganze Zimmer ausgeleuchtet. Das ist schlimmer, als ein eingeschaltetes Deckenlicht. Als kurz darauf noch zwei andere rumpolterten, bin ich auch raus. Ab sieben hätte es in der Gaststätte Frühstück gegeben, aber ich laufe lieber erst ein Stück und setze mich dann auf einen Kaffee in eine Kneipe. Heute musste man aber bei der Suche nach einer Gaststätte einige Geduld aufbringen.

Der Weg führte gleich hinter A Mesa eine ganze Weile steil bergauf bis auf über 1000 Meter, zum Glück auf einer unbefahrenen Straße und nicht auf einem holprigen Weg. Da oben steckte man wieder in einer Wolke und wurde nass, obwohl es nicht wirklich geregnet hat. Es ging sogar ohne Regenponcho - mit dem Ding wäre es allerdings wärmer gewesen, denn es wehte wieder ein heftiger kalter Wind.

Hinter dem Pass mit 1033 Metern ging der Weg bald von der Straße weg und im Zickzack durch sehr niedriges, teilweise abgebranntes Gehölz. Insgesamt ging es bestimmt fünf Kilometer bergab, bis zum Stausee von Grandas auf etwa 200 Meter Höhe. Große Abschnitte führten über Geröllpisten, was viel Konzentration erforderte und ganz schön auf die Fußgelenke ging. Zum Glück gab es zwischendurch auch immer mal festgetretene „Waldwege“, auf denen man es sich erlauben konnte, auch mal den Blick in die Ferne schweifen zu lassen. Als ich wieder unter der Wolkendecke war, bot sich nämlich ein toller Blick auf den tief im Tal liegenden Stausee, über dem immer noch Nebelschwaden schwebten.

Beim letzten Stück des Abstieges runter zur Staumauer bot sich ein sehr interessanter Blick auf alte Bergwerks- und Fabrikanlagen am anderen Ufer und eine dazugehörige, baufällige Bergarbeitersiedlung. Die Staumauer war auch schon etwas älteren Datums, bot aber ein paar sehenswerte Details wie die Mechanismen zum Öffnen der Überlaufklappen. Die wird man aber wohl nicht so schnell öffnen müssen, denn an den Ufern sieht man, dass dem Stausee einige Meter Wasserstand fehlen. Nach Überqueren der Staumauer kam endlich die ersehnte Gaststätte, in der man Kaffee und ein Tortilla fassen konnte. Da war es halb zwölf!

Heute war es etwas schwierig, die Etappe zu fixieren. Da ich gestern fünf Kilometer weiter laufen musste als geplant, waren es heute bis nach Grandas de Salime, den nächsten Ort mit mehreren Herbergen, nur noch knapp 15 km. Das ist ein bisschen wenig für eine Etappe. Aber dahinter gibt es nur noch im gut fünf Kilometer entfernten Castro eine Jugendherberge und dann über zwanzig Kilometer gar nichts mehr. Die Jugendherberge hat nur 16 Betten, da war mir schon klar, dass die wohl belegt sein wird. Ich habe trotzdem mal angerufen und die nette Hospitalera hat mir bestätigt, dass alles voll ist, dass sie sich aber melden würde, wenn jemand storniert. Leider kommt es nur selten vor, dass jemand storniert, wenn er nicht kommt. Die Reservierung kostet ja nichts. Da kann man wie beim Zalando-Schuhkauf in drei in Frage kommenden Herbergen reservieren und dann in der absteigen, die einem abends am besten passt. Wenn überhaupt mal jemand anruft, dass er nicht kommt, dann erst am Abend, weil er es nicht so weit geschafft hat oder weil er weiter gelaufen ist, als geplant. Als sich wie erwartet bis zum Mittag niemand gemeldet hat, habe ich beschlossen, in Grandas de Salime zu bleiben, denn wenn in Castro wie zu erwarten kein Bett frei wird, müsste ich noch 20 km weiter laufen, insgesamt ab A Mesa fast 40 km, was bei diesen Bergen nicht machbar ist.

In Grandas habe ich die kommunale 9 €-Herberge angesteuert, die 28 Betten hat und um halb eins aufmacht. Durch das Tortilla-Essen am Stausee habe ich es nicht bis halb eins geschafft, sondern war erst viertel zwei dort. Da habe ich gerade noch das letzte freie Bett im Unterdeck bekommen. Eine Stunde später war die Herberge voll. Angeblich kann man ja in einer kommunalen Herberge nicht reservieren. Aber nachdem der Hospitalero Zoe und ein Mädel aus der Herberge in Pola abgewiesen hat, wurden kurz darauf zwei ältere deutsche Damen, die sich bestimmt auch ein Hotel hätten leisten können, herein gelassen - und zu allem Überdruss auch noch die schwatzhafte Jennifer. Die hat mich offenbar nicht wieder­erkannt, weil sie fragte, ob ich Spanisch oder Englisch spreche, was ich beides mit kräftigem Kopfschütteln verneint habe. Möge der Kelch eines Gespräches an mir vorüber gehen.

Es war zwanzig vor zwei, als ich mein Bett bezogen und die Nylonsäckchen am Lattenrost befestigt hatte, dieses Mal etwas geschickter als gestern. Nun wurde es Zeit einzukaufen, denn um zwei machen die Geschäfte ja meist Siesta oder am Wochenende ganz zu. Da der Hospitalero mich beruhigt hat, dass der Kaufmannsladen durchgehend und lange geöffnet ist, habe ich mir erst noch die offene Kirche angeschaut und ein Schwätzchen mit den Polen Lukasz gehalten, den ich hier wiedergetroffen habe. Dann bin ich in den Laden und war ganz verwundert, dass die Dame hinter mir abgeschlossen hat und mir auf Anfrage sagte, dass sie heute auch nicht nochmal öffnet. Ich musste da also einen Blitzeinkauf tätigen, der auch noch für den morgigen Sonntag reichen muss, da ungewiss ist, ob dann irgendwo was offen hat.

Als ich nach der Rückkehr dem Hospitalero sagte, dass das Geschäft doch nicht dauernd offen hat, habe ich erfahren, dass ich im falschen Laden war. Einen anderen offenen habe ich aber auch nicht gefunden, als ich später nochmal durch den Ort bin. Dann habe ich aber mal in eine gut frequentierte Gaststätte geschaut und gesehen, dass da ein Lebens­mittelladen integriert ist. Der hat zwar kein üppiges Angebot, ist aber schön anzusehen und bis 22.30 Uhr geöffnet. Sollten mir die Vorräte ausgehen, kann ich da ja nochmal hin.

Bei meinem zweiten Rundgang durch den Ort bin ich auch auf das Ethnografische Museum gestoßen, das ich schon auf der Karte gesehen hatte. Da ich eh irgendwie den Nachmittag rumkriegen musste, bin ich dort rein und sehr angenehm überrascht worden. Für 1,50 € Eintritt bekommt man drei Häuser voller Wohnungs-, Werkstatt-, Praxis- und Geschäfts­ausstattungen zu sehen. Außerdem unzählige Werkzeuge, Maschinen und landwirtschaft­liche Geräte sowie eine funktionierende Mühle und zwei begehbare Hórreos. Das war unheimlich interessant und man hätte da Stunden zubringen können. Aber nach ein paar Tagen ist es so, dass die Füße schnell laufen oder sich ausruhen wollen. Langsam durchs Museum zu laufen, ist da ganz schön anstrengend.

In der mittelalterlichen Kirche, die nicht nur, wie häufig zu sehen, auf ein oder zwei Seiten Arkaden hat, sondern ringsum von Laubengängen umgeben ist, gibt es Sonntag vormittags und Montag bis Freitag abends Gottesdienst. Am Sonnabend leider nicht. Schade, da hätte ich mich gern mit reingesetzt, schon um die Kirche innen beleuchtet zu sehen. Auf dem Altarretabel habe ich nämlich links unten den St. Rochus entdeckt, der bekanntlich auch für die Krankenpflege steht, da er doch Anfang des 14. Jahrhunderts an Pest erkrankte Rom-Pilger gepflegt hat.

Als ich mich mit meinen Einkäufen zum Essen in den Aufenthaltsraum gesetzt habe, wurden dort auf der Couch einem Pilger die Beine massiert, was leider mit ätzendem Kampfergeruch verbunden war. Die Masseuse, eine nette, kräftige, gut Englisch sprechende Portugiesin, ist mir schon mehrmals über den Weg gelaufen und war auch schon mal in der gleichen Herberge. Ihr ist nur leider bisher noch nicht aufgefallen, dass meine Beine auch eine Massage gebrauchen könnten …

Camino Primitivo - Tag 6