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Unterwegs auf dem Camino Primitivo von Oviedo nach Santiago de Compostela | ![]() |
Tag 12 (Fr, 13.9.2024) A Calle de Ferreiros - Santiago de Compostela / 32,0 km
Heute früh hätte ich fast verschlafen. Als ich um viertel sieben aufgewacht bin, stand das junge deutsche Pärchen schon in der Tür und die anderen waren beim Einpacken. Ich habe auch schnell gepackt, aber dann eine Weile gebraucht, um die gestern Abend gewaschenen Sachen so am Rucksack zu befestigen, dass sie einerseits durch den Laufwind trocknen und andererseits nicht runterfallen. Um dreiviertel sieben war ich in der Spur. Da war es noch finster, allerdings gab es einen großartigen, wolkenlosen Sternenhimmel.
Bis es hell wurde, bin ich wieder auf der Straße geblieben, statt mit der Smartphone-Lampe Waldwege auszuleuchten. Die weißen Linien auf der Straße sieht man auch ohne Licht. Als es dann hell wurde und ich von der Straße auf den Camino gewechselt bin, musste ich sehen, wie viele schon unterwegs waren. Da müssen in Arzúa Heerscharen schon um fünf aufgebrochen sein. Obwohl ich einigermaßen zügig gelaufen bin, wurden es immer mehr um mich herum, mehrheitlich mit leichtem Gepäck versehen. Darunter jede Menge Amerikaner reiferen Alters. Die Kneipen am Wegesrand waren schnell so gefüllt, dass man am Tresen anstehen musste. Zum Glück hatte ich bereits an der Straße meinen morgendlichen Kaffee getrunken und noch was zu essen und zu trinken im Rucksack. Da musste ich mich nicht in die Warteschlangen einreihen. Je mehr Leute unterwegs waren, umso lauter wurde es und auf jedem Stückchen Grün um die Kapellen herum saßen Leute und haben Picknick gemacht. Auf dem Weg musste man laufend beiseite springen, weil ein Grüppchen Radfahrer kam - meist auf E-Mountainbikes und auf dem Rücken völlig verdreckt, weil solch ein Mountainbike natürlich kein Schutzblech haben darf. Unter den Radlern, die einem in der Regel ein freundliches „Buen Camino“ zurufen, waren wie vor zwei Jahren wieder viele Brasilianer, die immer eine Fahne am Rad mitführen. Das ergab insgesamt zwar eine ganz nette Volksfeststimmung, aber wenn man in Ruhe seinen Weg gehen will, dann geht einem das auf die Nerven. Ich habe mich schon bald nach der Ruhe der Landstraße gesehnt und bin, als der Flughafen umrundet war, bei der nächsten Gelegenheit wieder dorthin gewechselt. In San Marcos habe ich mich erneut auf den Weg begeben und bin dabei auf einen älteren, schon etwas zittrigen, aber ansonsten ganz kernigen Kanadier gestoßen, Pierre aus Ottawa. Der ist vor vier Monaten in Paris gestartet, hat ab Le Puy die Via Podiensis bis Saint-Jean-Pied-de-Port genommen, ist weiter bis Bayonne und praktisch um die Pyrenäen drum rum nach Pamplona. Von dort auf dem Camino Francés bis Leon, dann nach Oviedo und wie ich auf dem Camino Primitivo nach Santiago. Anschließend will er noch nach Fatima und da ich von meinen Plänen für die nächsten Tage erzählt habe, kam ihm die Idee, das auch noch zu machen. Jetzt wollte er aber erstmal in die Herberge auf dem Monte do Gozo. Irgendwie ist er aber mit seinem Kartenprogramm nicht klar gekommen und hat gemeint, anders laufen zu müssen, als ich ihm geraten habe. Damit er sich nicht auf den letzten Metern verirrt, habe ich ihn geschnappt und zu seiner Herberge gebracht. Er hat gelacht, als ich diese mit einem Kriegsgefangenenlager verglichen habe. Als er die Barackensiedlung zu sehen bekam, hat er mir aber zugestimmt. Zur Ehrenrettung der Herberge sei aber gesagt, dass es in den vielen barackenähnlichen Bauten sehr schöne Zimmer mit wenigen Betten und eine gute Infrastruktur gibt. Schockiert waren wir aber beide, als wir die fast hundert Meter lange Schlange an der Rezeption gesehen haben. Ich habe ihn da seinem Schicksal überlassen und bin weiter. An der nächsten Ecke stand ein mobiler Polizeiposten. Ein großer Van mit zwei Polizisten, die eifrig Pilgerpässe gestempelt und neben Ratschlägen auch Pflaster und ähnliches verteilt haben. Das ist eine nette und hilfreiche Geste der Guardia Civil, die sich wirklich um das Wohl und die Sicherheit der Pilger bemüht. Unlängst habe ich ja schon von der App „Alert Cops“ geschwärmt, mit der man im Bedarfsfall ganz leicht Kontakt aufnehmen und z. B. seine Position übermitteln kann. Ich habe hier nach über 35 Jahren erstmals wieder einen Stempel von der Polizei bekommen - und das freiwillig. Bald danach kommt man an das viel fotografierte Ortseingangsschild von Santiago, ab dem es aber noch 3…4 km, also eine dreiviertel Stunde bis zur Kathedrale ist. Da ich nicht wusste, wie lange das Prozedere im Pilgerbüro dauert, bin ich gleich dort hin und war erstaunt, wie schnell das ging. Da fast alle Schalter besetzt waren, habe ich vielleicht fünf Minuten gewartet, obwohl über 40 Mann vor mir waren. Ich hatte die Nummer 1071 - nachmittags halb drei, wo ein großer Schwung noch kommt. Gestern sind insgesamt ca. 2500 Pilger angekommen. Danach bin ich dann zum Platz vor der Kathedrale, der gut gefüllt war und wo die am lautesten gejubelt haben, welche die kürzest mögliche Strecke mit kleinem Gepäck absolviert haben. Die sind in der Regel leicht an den einheitlichen T-Shirts zu erkennen. Gefreut habe ich mich, dass ich hier das Ehepaar aus Madrid wiedergetroffen habe. Leider hat Andrés irgendwas mit Magen/Darm erwischt. Er hat in Melide zwei Tage flach gelegen und sie mussten für das letzte Stück den Bus nehmen, da morgen der Flieger nach Hause geht. Das tut mir wirklich leid und macht mich zugleich glücklich und dankbar, dass mir bisher solches oder anderes Leid erspart geblieben ist. Im Pilgerbüro konnte ich dann endlich in Erfahrung bringen, wie die Kilometerzählung auf der sogenannten „spirituellen Variante“ des Camino Portugues ist. Also, das ist kein eigenständiger Weg. Ob man von Pontevedra nach Padron geradeaus läuft, oder den großen Bogen über die Halbinsel schlägt, ist jedem selbst überlassen und wird bei der Kilometerzählung nicht berücksichtigt. Ausschlaggebend dafür, ob man eine Compostela bekommt, ist nur die Entfernung des Startpunktes. Und erfreulicherweise ist Vigo, das ich als Ausgangspunkt ins Auge gefasst hatte, lt. Pilgerbüro 100,1 km weg von Santiago! Der Routenplaner hatte da immer weniger ausgewiesen, aber der nimmt ja auch den kürzesten Weg. Also auf nach Vigo, von wo ich auf einem noch nicht begangenen Weg nach Pontevedra laufen will und dann auf der genannten Variante nach Padron, von wo es wieder direkt nach Santiago geht. Gleich neben dem Pilgerbüro ist ein Fahrkartenschalter des Busunternehmens „Monbus“, wo ich die Fahrkarte (7,75€) kaufen wollte, aber der Schalter war nicht besetzt und am benachbarten Postschalter sagte man mir, dass der Kollege um drei, also in 10 Minuten wieder da ist. So lange wollte ich nicht warten. Die Fahrkarte kann ich ja auch am Busbahnhof oder im Internet kaufen. Also bin ich vorbei an einem Supermarkt, wo ich mir Proviant geholt habe, zum „intermodalen Bahnhof“ (Bus und Bahn) gelaufen und dort bald umgefallen, als ich die Menschenmassen gesehen habe. Es war Freitagnachmittag und offenbar waren viele Studenten auf dem Heimweg. Ich habe mich vor der Schalterhalle an die längste Schlange angestellt, die vom Schalter bis nach draußen reichte und bestimmt 50 Meter lang war. Sowas habe ich, abgesehen von der Schlange an der Rezeption am Monte do Gozo, seit Ostzeiten nicht mehr gesehen. Also erstmal anstellen und dann fragen, ob man richtig ist - früher hat man auch erst nach dem Anstellen gefragt, welche Schallplatte es denn gibt. Also ich war richtig, das war der Schalter für Pontevedra und Vigo. Der Bus geht stündlich, der um 16.05 Uhr war aber keinesfalls zu schaffen. Wie vermutlich alle anderen in der Schlange habe ich versucht, derweil online auf monbus.es zu buchen, aber der Server war schon in die Knie gegangen. Die Menüs wurden nicht mehr oder nur sehr langsam geladen und zwischendurch ist man immer rausgeflogen. Als ich mal bis zu dem Punkt gekommen bin, wo man den Bus auswählen kann, wurde mir angezeigt, dass die nächsten drei Busse voll sind und der erste verfügbare um 20 Uhr fährt. Das wird knapp, denn man fährt ja eineinhalb Stunden und muss dann noch durch die Stadt zur Herberge laufen, die um 22 Uhr schließt. Und da noch so viele vor mir standen, war abzusehen, dass der auch bald ausgebucht sein wird. Als ich dann endlich dran war, war ich ganz überrascht, dass die Dame, die da wirklich geschindert hat, mir ein Ticket für den nächsten Bus um 17 Uhr reichte. Wie sich später zeigte, haben sie spontan zusätzliche Busse auf die Strecke geschickt - bei uns undenkbar. Leider fahren vom Busbahnhof so viele Busse zeitgleich um 17 Uhr ab, dass nicht alle auf die Anzeigetafel passen. Ich musste mich also nach dem richtigen „Bahn“steig durchfragen. Die Nr. 4 soll’s sein. Da standen erst ein paar Leute, die dann aber alle in den Bus stiegen, der auf Nr. 5 kam. Die Dame vor mir hat mir aber versichert, dass dies der richtige sei. Im Bus gab es neben dem Fahrer noch einen Schaffner, der die Tickets kontrolliert hat. Ich habe das System nicht ganz verstanden. Da hatten einige wie ich Tickets mit Zeitangabe, andere welche, die wie ein Kassenbon aussahen. Dann gab es jene, die zu besseren Server-Zeiten ein Online-Ticket aufs Smartphone laden konnten, und dann noch die mit Monatskarten. Der Schaffner hat mal den und mal jenen reingelassen und ich bin bei dem Gedränge allmählich nach hinten durchgereicht worden. Hätte ich jetzt noch wie eigentlich gefordert mein Gepäck unten hinter der Klappe verstaut, hätte ich vermutlich ganz hinten gestanden und nur mein Gepäck wäre nach Vigo gefahren. Also habe ich den Rucksack unauffällig in der Hand mit reingeschmuggelt und dort mit großer Mühe sogar in die Gepäckablage verstauen können. Als dann kurz vor der Abfahrtszeit nebenan auf der ursprünglich genannten Nr. 4 ein Bus einfuhr, an dem vorn „Vigo“ stand, während unser nichts anzeigte, wurde ich dann doch etwas unruhig. Aber die Dame neben mir beruhigte mich mit der Auskunft, dass ich im Bus nach Vigo sitze. Insider-Wissen. Mit nur wenig Verspätung ging es dann zehn nach fünf auf die Autobahn und durch eine sonnenbeschienene Landschaft, mitunter dicht an Meer, nach Vigo. Als ich in Vigo vor der Herberge stand, dünkte mich, dass ich da schon mal war. Vor zwei Jahren bin ich auf den portugiesischen Küstenweg bereits durch Vigo gekommen und dort abgestiegen. Es ist eine sehr moderne, fünfgeschossige Herberge in einem alten Haus an einem Platz dicht am Hafen. Damals habe ich da mit einem Nord-Spanier, der schon mal bei BMW in Spandau war, genächtigt und zuvor im benachbarten Restaurant „Piementos Padron“ gegessen. Mehr Zeit war damals nicht. Dieses Mal habe ich noch eine kleine Besichtigung der Gegend rund um die (Con-) Kathedrale geschafft. Da waren viele Leute unterwegs und alle Kneipenstühle auf den Straßen und Plätzen waren besetzt. Wer dort keinen Platz gefunden hat, hat sich mit seinem Wein- oder Bierglas auf die Treppe vor der Kirche gesetzt. Da gegenüber der Kirche ein Musiker spielte, lauschten die Leute, statt laut durcheinander zu schreien. Es war also eine durchaus angenehme Stimmung. Auf einer Brücke, die über die Hauptstraße zum Hafen führt, bin ich ins Einkaufs-Center gelangt, das zwar nur wenige Geschäfte, aber sehr viele öffentliche Flächen zu bieten hat. Es gibt große Foyers mit gewaltigen Rolltreppen und Aussichtsplattformen auf jeder Etage. Da habe ich eher zufällig den Sonnenuntergang hinter der gegenüber liegenden Halbinsel miterlebt. Auf einer anderen Aussichtsplattform lief derweil kostenloses Freiluftkino. Da ich inzwischen Hunger für zwei hatte, habe ich mir im Einkaufs-Center bei Burger King ein Doppelmenü geholt. Alles doppelt, aber zum Schnäppchenpreis. Allerdings war nach dem Eintippen der Bestellung am Terminal auch ein Kartenspiel mit Pommes und Burgern statt Buben und Damen für 1 € im Warenkorb. Das ist zwar besser als ein Gebrüder-Kaulitz-Puzzle, vor denen man bei McDonald Angst haben muss, aber ich wollte das Kartenspiel trotzdem nicht. Es ließ sich jedoch nicht aus der Bestellung entfernen. Nachdem ich auf „Bestellung ändern“ geklickt und alles nochmal ausgewählt habe, war das Kartenspiel immer noch oder schon wieder im Warenkorb. Da sich inzwischen hinter mir eine Schlange gebildet hatte und vermutlich alle heimlich über den bekloppten Deutschen geschimpft haben, der zu doof ist, ein Terminal zu bedienen, habe ich die Bestellung abgeschickt. Ich bin dann aber gleich an den Tresen und habe reklamiert, dass mir nicht gewünschte Artikel untergeschoben wurden. Da ist mir anstandslos unter Einbehalt des Kartenspiels ein Euro ausgezahlt worden. Wenn man davon ausgeht, dass unter zehn Leuten ich vielleicht der einzige bin, der sich wegen einem Euro aufregt, ist diese Kartenschummelei doch ein prima Geschäft für den Burger-König. |
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Camino Primitivo - Tag 12 | ![]() |
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