Unterwegs auf dem Ökumenischen Pilgerweg entlang der Via Regia
Von Görlitz nach Gröditz

Tag 1 (Montag, 5.6.2023) - Von Görlitz nach Gröditz / 36,2 km

6.00 Uhr. Obwohl das Bett für meinen Geschmack etwas weich war, habe ich wunderbar geschlafen und bin vor ein paar Minuten in einem sonnendurchfluteten Zimmer aufgewacht. So könnte es die nächsten Tage und Nächte weitergehen.

7.30 Uhr. Vor einer Stunde bin ich nach einem flinken Kaffee und einem gestern übrig gebliebenen Schnittchen aufgebrochen. Damit ich auch wirklich behaupten kann, dass ich am Anfangspunkt (des deutschen Abschnittes) der Via Regia gestartet bin, habe ich keine Abkürzung zum dicht an der Herberge vorbei führenden Pilgerweg genommen, sondern bin durch die Altstadt runter zur Neiße-Brücke und von dort vorbei an der Peter-und-Paul-Kirche und durch sehr ordentliche Straßen mit alter Bausubstanz zum „Heiligen Grab“. Das ist eine kleine Parkanlage mit einem „Oelberg“ und mehreren Kapellen, von denen eine der Grabes­kirche in Jerusalem nachempfunden ist. Das alles hat ein Görlitzer Bürgermeister nach der Rückkehr von einer Pilgerfahrt ins Heilige Land bauen lassen. Leider war das Tor noch verschlossen.

An der „Stadtgrenze“, so heißt die Straße, an der man abbiegen muss, verlässt der Jakobsweg die Asphaltpiste und führt auf einem frisch gemähten Grasstreifen durch ein ansatzweise blühendes Rapsfeld. Da kommen alle Gerüche zusammen. Nach einem kurzen Stück auf einem Radweg entlang der B 6 ist der Weg in eine liebliche Felderwirtschaft eingetaucht, aus der heraus man einen guten Blick auf die Landeskrone hat, die das Panorama im Süden bestimmt.

14.00 Uhr. Ich sitze in Arnsdorf in der kühlen Dorfkirche, die recht schlicht ist, aber mit einer bemalten Kassettendecke und einer freigelegten alten Bemalung in der Apsis aufwarten kann. Neben der Apsis ist ein Tabernakel mit Gittertür in die Wand eingelassen und am Übergang vom Kirchenschiff zum Chor schwebt förmlich eine Kanzel, die wie ein Schwalbennest am Jochbogen hängt. Im Kirchenschiff gibt es eine umlaufende Kanzel und in der Mitte des Raumes einen hölzernen Pfeiler, der die Decke stützt.

Etwas üppiger ausgestaltet und verwinkelter ist die Kirche in Ebersbach, die ich heute am Beginn meiner Tour besucht habe. Da war die Empore doppelstöckig und von einer verglasten Patronatsloge unterbrochen. Auch da ist mitten im Kirchenschiff eine Säule, welche die Decke trägt. Vor der verglasten Chorwand steht ein hoher Altar und neben dem Altarraum ist ein Podest mit den verschiedensten Epitaphen. Beiden Kirchen ist gemein, dass sie den ganzen Tag geöffnet sind, was ich in Spanien so vermisst habe. Zudem liegt ein Pilgerstempel aus, mit dem man seinen Pilgerpass weiter vervollständigen kann. Da es hier kaum Gaststätten gibt (und diese heute auch noch Ruhetag haben) stehen die Chancen gut, mal mehr Kirchen- als Kneipenstempel zu sammeln.

Zwischen Ebersbach und hier ging es fast ausschließlich durch dichten, meist sehr naturbelassen Mischwald und durch die Felder mit gutem Blick in die Ferne.

Kurz vor dem Ende des ausgedehnten Waldes führte der Weg durch ein Gebiet mit ehemaligen Steinbrüchen hinauf zum Hochstein in etwa 400 m Höhe. Da steht ein Felsen in der Landschaft, den man besteigen kann, daneben ein 22 m hoher Aussichtsturm und dazu eine große einladende Baude, die heute aber Ruhetag hat. Vor der Baude saß gelangweilt ein Mann, der mir nach dem gegenseitigen Bedauern wegen der geschlossenen Gaststätte erzählte, das er auf eine Schülergruppe wartet, die er hier mit Getränken und Picknick aus seinem Auto versorgen soll. Es handelt sich um Schüler der 4. bis 6. Klasse einer Dresdener Montessori-Schule, die als eine alternative Form des Unterrichts in fünf Tagen von Görlitz nach Kamenz pilgern. Das unternehmen sie jedes Jahr. Früher ist er mitgelaufen, jetzt kann er das mit seinem Knie nicht mehr, weshalb er das Catering und den Gepäcktransport übernommen hat. Wie er erzählte, ist für die Schüler der Weg leichter zu ertragen, als fünf Tage ohne Handy, dann das darf nicht mit auf die Pilgertour.

Erfreulicherweise bin ich hier im Wald noch nicht auf die fiesen Viecher gestoßen, die einen Arme und Gesicht zerstechen - aber vermutlich nur, weil ich eine riesige Flasche Mückentötolin dabei habe. Das Zeug muss man offenbar gar nicht auftragen, sondern nur im Rucksack haben.

15.00 Uhr. Gerade ging es vorbei an Wasserschloss Döbschütz, das zwar eine Renovierung nötig hätte, aber bewohnt ist und viel Charme ausstrahlt. Es wird von einem Bächlein, dem „Schwarzen Schöps“ umflossen, das dem Domizil bestimmt nicht nur die Bezeichnung „Wasserschloss“, sondern sicher auch feuchte Keller verschafft hat. Hinter den große Bäumen und Hecken ist das Schloss vom Weg aus kaum zu sehen.

21.30 Uhr. So spät bin ich ja noch nie in einer Herberge angekommen: es war fast halb acht, als ich endlich in Gröditz an der Herberge „Santa Martha“ war. Eigentlich soll man hier um 15.30 Uhr einchecken, bevor der Hausmeister abrückt. Dass dies nicht zu schaffen sein wird, war mir schon bei der Reservierung klar. Deshalb hatte ich gleich gesagt, dass es zwei Stunden später sein wird. Als sich dann aber unterwegs zeigte, dass auch diese Ankunftszeit nicht zu halten ist, habe ich eine Email an die Herbergsbetreuerin geschrieben und die Antwort erhalten, dass sie zwar nicht da ist, aber die schon angereisten Pilger mich einlassen und einweisen werden. Und so war es dann auch. Ich hatte noch gar nicht die Klinke in der Hand, da haben mir zwei Frauen, die hier Unterkunft bezogen haben, die Tür geöffnet und mich freundlich begrüßt. Die Beiden sind ein ziemlich ungleiches Paar: Katharina aus der Schweiz ist ziemlich klein und zierlich, Ingeborg aus dem Münsterland hingegen recht groß und kräftig. Sie haben sich im vorigen Jahr auf dem Camino Francés kennengelernt und sich für eine gemeinsame Pilgertour in Deutschland verabredet. Wie sich beim Plausch am Abendbrottisch herausstellte, waren sie im vorigen Jahr kurz nach mir auf dem Camino und natürlich haben sie so ziemlich das Gleiche gesehen und erlebt wie ich.  

Inzwischen sind die Beiden im Bett verschwunden. Da wir uns gegenseitig mit Schnarchen gedroht haben, werde ich ein Bett im anderen Schlafraum nehmen. In einem sind drei, in anderen zwei Betten. Dazwischen liegt eine sehr komfortabel eingerichtete Küche, die neben ausreichend Geschirr auch jede Menge Lebensmittel einschließlich Wasser und Bier zu bieten hat. Sowas hätte ich also nicht aus dem Edeka in Weißenberg heranschleppen müssen. Denn das letzte Stück entlang des „Löbauer Wassers“ durch eine in den Fels gefressene Schlucht war zwar sehr schön, aber anstrengend und zeitraubend, da es auf einem schmalen Trampelpfad über umgestürzte Bäume dicht am Wasser entlang ging. Die Schlucht ist jetzt Naturschutzgebiet, da werden die Wanderwege zwar noch geduldet, aber nicht mehr gepflegt. Hier musste ich mich mitunter durch meterhohe Brennnesseln kämpfen und sogar das Mückentötolin zücken, da die Insekten hier sich nicht davon abschrecken ließen, dass ich sowas im Rucksack habe.

Nun wäre ja noch zu klären, warum ich so spät in Gröditz ankam. Es lag zumindest nicht an Kneipen, denn davon habe ich unterwegs nur eine gesehen und die war zu. Dafür standen alle Kirchen am Wegesrand offen und die habe ich mir dann auch angeschaut. Neben den schon beschriebenen waren das die Kirchen in Buchholz und Weißenberg, die allesamt sehenswert sind. Und natürlich habe ich wieder viel fotografiert, zum Beispiel die vermutlich von Jugendlichen gemalten Pilgerweg-Schilder mit netten Bildern und Sprüchen drauf. Die hängen hier auf einem Abschnitt vor und hinter Arnsdorf neben den üblichen Markierungen an den Bäumen.

Die halbe Stunde Mittagsschlaf kurz vor dem Hochstein kann man sicher vernachlässigen, aber sicher nicht die vielen Windungen, die der Weg nimmt. Dass es heute mehr als dreißig Kilometer werden, hatte ich geschätzt, aber dass es dann (brutto, d.h. mit allen Abstechern) 41,6 km wurden, hat mich doch überrascht. Es ist aber gut zu wissen, dass man auch solch eine Entfernung schaffen kann.

Das muss man aber nicht jeden Tag zelebrieren. Morgen wird die Strecke mit ca. 20 km bis Bautzen deutlich kürzer sein, was aber kein Grund zum Bummeln sein darf, denn in der angepeilten Herberge kann man mich reservieren. Dort soll es 6 Betten geben - Katharina und Ingeborg wollen da auch übernachten, da dürfen also nur zwei Bewerber schneller sein … aber da ist sie schon wieder: die Hektik, die man hier auf dem Weg eigentlich ablegen wollte. Irgendwas wird sich schon finden!

Via Regia - Tag 1