Unterwegs auf dem Ökumenischen Pilgerweg entlang der Via Regia
Von Wurzen nach Leipzig

Tag 8 (Montag, 12.6.2023) - Von Wurzen nach Leipzig / 35,2 km

9.30 Uhr. Ich sitze im Schlosspark von Machern zu Füssen einer alten Ritterburg-Ruine. Hier hat man unter großen Bäumen um den unterirdischen Zugang zur Burg herum eine kleine Freilichtbühne gebaut. Ein idealer Platz für eine Rast. Endlich mal etwas Schatten. Wie Plakate verraten, wird hier in zwei Wochen vom Verein „Die Theatermacher(n)“ das Stück „Sagenhaftes Muldental“ aufgeführt.

10.00 Uhr. Für mich waren soeben die Bänke der Freilichtbühne ein idealer Schlaf- und Ruheplatz im Schatten. Nun aber weiter.

Ich bin vorhin etwas vom Weg abgewichen, um die von weitem sichtbare Burgruine von Nahem zu betrachten. Leider finde ich keine Fotoposition für eine schöne Nahaufnahme, da die Bäume ringsum so dicht stehen. Man müsste schon dem Bauern sein Feld zertrampeln, um die Ruine von der baumlosen Ostseite zu fotografieren. Aber im Park gibt es ja noch andere Sehenswürdigkeiten, zum Beispiel eine Pyramide.

Bevor ich wieder auf den Jakobsweg schwenke, werde ich noch dem hinterm Schlosspark liegenden Ort Machern einen Besuch abstatten, denn auf der Karte lockt da ein „Erwin Bistro“. Ich bin ja ohne Frühstück los und jetzt bekomme ich langsam Hunger.

12.00 Uhr. Ich bin gerade aus dem Wald getreten und erkenne am Horizont die markante Silhouette der Leipziger Uni. Das heutige Ziel ist also schon in Sichtweite.

Ich habe doch einige Zeit im Schlosspark von Machern zugebracht. Da gab es noch einiges zu sehen und viel zu lernen, da an den Bäumen Schilder hingen, die ein nebenstehendes Bauwerk oder Naturdenkmal erklärten, meist mit Zitaten aus einem Reisebericht vom Ende des 18. Jahrhunderts. Leider hat man auch hier mit Vandalismus zu tun. Der Tempel der Hygieia ist großflächig mit schwarzer Farbe bemalt und selbst die Marmorfigur besagter Göttin ist fast vollständig schwarz beschmiert. Hätte der Vandale die Statue gänzlich besprüht und dabei den Hintergrund ordentlich angeklebt, dann hätte man die Figur wenigs­tens noch als Ebenholz-Schnitzerei durchgehen lassen können, aber so sieht das einfach nur schrecklich aus. Die „88“ und das „HH“ an der Wand weisen darauf hin, in welchen Kreisen der Täter zu suchen ist.

Am gut restaurierten Schloss, dessen Turm weithin sichtbar ist, befindet sich ein Standes­amt. Als ich vorbei kam, wartete dort eine ganze Hochzeitsgesellschaft - die Braut in einem weißen Brautkleid, er mit schwarzer Hose, über der ein weißes Hemd hing.

Gleich am Schloss ist ein altes, nobles Hotel und daneben ist der Schlossplatz mit dem Rathaus sowie ein paar Geschäften und Gaststätten. Die Mitte des Platzes ist als Park mit Bänken und einem Springbrunnen gestaltet. Letzterer enthält mehrere Bronzetafeln zur Geschichte der Stadt, die ich mir gar nicht alle durchlesen konnte. Auf einer der Bänke machte eine zierliche blonde Frau mit einem großen Rucksack Picknick. Da sie auf mein „Buen Camino“ mit einen Lächeln und Winken antwortete, wird sie wohl eine Pilgerin gewesen sein. Die übliche Anmache mit „Wohin? Woher?“ habe ich aufgeschoben, denn sicher werde ich noch mal auf sie stoßen, wenn sie auf dem gleichen Weg unterwegs ist.

Ich bin stattdessen direkt zum Ewin Bistro (nicht „Erwin“), wo der Chef in Vertretung der fehlenden Gäste auf der Terrasse saß. Hinter ihm lief Leuchtschrift mit Reklame durch, darunter „Montag Dönertag: Döner + Cola 4,90“. Dem Wirt, der auf mich zu sprang, habe ich also die Bestellung eines solchen Montagsmenüs aufgegeben. Der erklärte mir aber, dass die Reklame falsch wäre, dass heute kein Dönertag ist und dass die normalen Preise gelten. Solche üblen Werbetricks können mich auf die Palme bringen, aber in diesem Falle habe ich es dabei belassen, auf der Stelle umzudrehen. Als ich nach der Besichtigung der nahen Kirche zurückkam, saß Ewin immer noch beschäftigungslos vor seiner Bude. Da habe ich mich genau gegenüber im Schatten auf eine Bank gesetzt und seelenruhig meine als Notfallreserve gedachten Landjäger-Würste zusammen mit einem Getränk aus der „Lösch-Depot“ verzehrt - Auge in Auge mit diesem Ganoven. Das hat gesessen!

20.30 Uhr. Ich sitze in Leipzig im schattigen Innenhof des Sleepy Lion Hostels, das in einem Haus aus der Gründerzeit untergebracht ist. Auf fünf Etagen gibt es hier vom Einzel- bis zum 10-Bett-Zimmer alles. Je größer das Zimmer, desto niedriger der Preis. Folgerichtig bin ich in einem 10-Bett-Zimmer, was aber nicht schlimm ist, da es sich eigentlich um zwei, durch eine Tür getrennte Zimmer mit 3 bzw. 2 Doppelstockbetten handelt. Ich bin in letzterem, das bisher nur zur Hälfte belegt ist. Beim Einchecken bin ich erschrocken, als die Dame an der Rezeption mir sagte, dass schon 5 Betten belegt sind, denn normalerweise heißt das, dass die fünf unteren Betten weg sind. Hier war die Zwischentür die Rettung, denn ein Paar wollte offenbar nicht in getrennten Zimmern schlafen. Die haben nun beide Etagen eines Bettes im Nachbarzimmer und mich lacht ein leeres Untergeschoss an. Erfreulicherweise gibt es hier richtige Bettwäsche und Steppbetten, die man allerdings selber beziehen muss. In der Küche gibt es einen Kühlschrank, ansonsten nur einen Wasserkocher und eine Mikrowelle.

Der Weg von Machern, wo es übrigens einen Ortsteil Wenigmachern (faule Leute?) gibt, nach Leipzig hat sich mächtig in die Länge gezogen. Die Sonne brannte unerbärmlich und es gab nur wenig Schatten. Da wurde jeder Schritt zur Qual und jede Bank im Schatten zu einem willkommenen Rastplatz.

Als dann irgendwann das Ortseingangsschild von Leipzig auftauchte, lagen immer noch 13 km vor mir und die zogen sich mächtig hin. Lange Zeit ging es schnurgerade gen Westen, wo nun schon die Sonne fast angekommen war. Das heißt, die Sonne kam fast genau von vorn und die Häuser warfen keinen brauchbaren Schatten.

An der ersten Tankstelle habe ich meinen ausgefallenen Imbiss mit einer Bockwurst nach­geholt. Kurz darauf stand plötzlich die junge Frau hinter mir, die ich in Machern als Pilgerin ausgemacht hatte. Sie heißt Anja, kommt aus Bautzen, wo sie auch gestartet ist, und steuert das gleiche Hostel an wie ich. Mehr konnte ich nicht in Erfahrung bringen, denn schon nach 100 Metern schwenkte sie nach links ab zur S-Bahn, um sich den langweiligen und ätzend langen Weg ins Stadtzentrum zu ersparen. Ich habe mich da nicht in Versuchung führen lassen, sondern bin unbeirrt die öde, lange Straße weitergelaufen. Irgendwann habe ich zum Glück übersehen, dass der Jakobsweg nach rechts auf eine parallel verlaufende, vermutlich genauso öde Straße wechselt. Meine Wegvariante (Wurzner-/Dresdener Straße statt Eisenbahn-/Rosa-Luxemburg-Straße) schlängelte sich etwas, so dass man immer mal auf einer Straßenseite etwas Schatten hatte.

An der Ecke Goethestraße/Grimmaische Straße, also mitten im Zentrum, trafen dann beide Varianten wieder aufeinander. Von hier war es nicht mehr weit bis zu meinem Hostel, das sinnigerweise in der Jakobstraße ist und damit genau am Jakobsweg liegt.

Ob und wann ich hier zum Schlafen komme, weiß ich noch nicht, denn es sind einige Schulkassen im Haus. Eine von vermutlich Viertklässlern tobte vorhin schon über den Flur, jetzt unterhalten sich vermeintliche Zehntklässler recht lautstark im Foyer. Wohin es morgen geht, weiß ich noch gar nicht. Ich werde nachher noch meinen Pilgerführer konsultieren und dann morgen im Laufe des Tages versuchen, Quartier zu machen.

Via Regia - Tag 8