Unterwegs auf dem Ökumenischen Pilgerweg entlang der Via Regia
Von Merseburg nach Naumburg

Tag 10 (Mittwoch, 14.6.2023) - Von Merseburg nach Naumburg / 39 km

10.00 Uhr. Ich habe mich gerade tüchtig verlaufen. Und das heute, wo ich eine so lange Etappe vor mir habe. Ich bin dem schönen Radweg, der sich hier in einer „Bergbaufolge­landschaft“ um die großen Seen schlängelt, immer gefolgt und habe nicht mitbe­kommen, dass man mittendrin scharf rechts abbiegen muss. Es gab da zwar eine Jakobsmuschel mit Pfeil, aber der Pfahl, an dem sie hing, war von jungen Birken völlig zugewachsen. Jetzt geht es auf einem von dicht belaubten Bäumen gut beschatteten Weg mit Asphaltbelag.

Da die Kirche, auf deren Empore ich übernachtet habe, keine Verdunklung hatte, war ich erwartungsgemäß zeitig wach. Um halb fünf bin ich aufgestanden und um fünf aufgebrochen. Ich hatte schön leise gepackt, damit Anke nicht aufwacht. Aber als ich dann schweren Schrittes mit dem Rucksack auf dem Rücken zur Tür bin, hat sie das doch mitbekommen. So konnten wir uns zum Abschied noch zuwinken und uns gegenseitig „Buen Camino“ wünschen.

Anke hat heute keine Eile. Sie will sich noch in Merseburg umschauen und dann nur die knapp 9 km bis Frankleben laufen, wo ein schön restauriertes Schloss unter anderem eine Pilgerherberge beinhaltet. Ich bin da heute früh um acht vorbeigekommen, nachdem ich in Reipisch unter dem Vordach des Dorfgemeinschaftshauses („Vereins- und Bürgerhaus“) auf einer gemütlichen Bank gefrühstückt hatte. Die gegenüber liegende kleine Dorfkirche mit der gestaffelten Turmfassade war leider geschlossen, aber man hätte sich über die Kirche auf einer der Tafeln informieren können, die der Heimatverein anlässlich der 1000-Jahrfeier zu verschiedenen Themen erstellt und im ganzen Ort verteilt hat.

14.30 Uhr. Endlich bin ich in Freyburg angekommen. Der Weg hat sich doch ganz schön hingezogen. Viele Abschnitte führten kilometerlang geradeaus, am schlimmsten war das fast baumlose Stück auf staubigem Weg unter einer Reihe von Windrädern hinweg. Nachdem ich vorhin wieder auf den richtigen Weg gelangt war, ging es lange Zeit auf einem alten, zum Fahrradweg umfunktionierten Bahndamm entlang. Hier wurde bis Ende der 70er Jahre Braunkohle per Bahn aus den nunmehr gefluteten Tagebauen in die nur noch als Ruine existierende Brikettfabrik gebracht. Zwischendurch musste umgespannt, das heißt die Lok ans Ende des Zuges gesetzt werden, da sie für die Gleise über den Kohlenbunker zu schwer war. Das hat mir ein Einheimischer zu Rad erklärt, der bei einer Rast neben mir Halt gemacht, mich zu meinem Weg ausfragte und dann erzählte, dass er vor zwanzig Jahren mit dem Rad von den Pyrenäen nach Santiago gefahren ist und dass er mal 40 km von Santiago entfernt auf Montage war und in dieser Zeit im „Kriegsgefangenenlager“ auf dem Monte Gozo gewohnt hat. Zwei Radlerinnen, mit denen ich bei der gleichen Rast ins Gespräch kam, erzählten, dass sie nach Zinnowitz wollen, aber durch möglichst schöne Landschaften. So wollten sie von mir wissen, wie sie ins Geiseltal kommen, was ich sogar beantworten konnte, weil ich da ja morgens durchgekommen bin. Im späteren Verlauf wollen sie dann in der Potsdamer Gegend entlang der Havelseen fahren.

Der letzte Kilometer des Weges nach Freyburg war recht abenteuerlich. Da ging es nämlich auf schmalen Trampelpfaden in Serpentinen den Hang eines Weinberges hinunter. Inzwischen war ich ziemlich hungrig und durstig und habe am Berghang geschworen, dass ich den ersten Imbiss nehme, der am Weg auftaucht. Und das war ein Döner-Laden. Und der Döner war köstlich: das Fladenbrot weit aufgeklappt in einer kleinen Schale und sehr reichlich mit Fleisch gefüllt. Den hätte kein Mensch zusammenklappen können, ohne vorher ordentlich was vom Inhalt zu essen. So geht es auch.

20.00 Uhr. Ich sitze im Hof des evangelischen Dompfarrhauses in Naumburg (Domplatz 8) und verspeise, was ich mir gerade im Netto (Salzstraße) besorgt habe: den üblichen Salat zum selber mixen und ein Glas Paprikastreifen, um diesen aufzupeppen. Viel mehr wird heute nicht passieren, denn ich bin todmüde. Der Weg und die Hitze haben mich ganz schön geschlaucht.

Von Freyburg nach Naumburg ging der Weg sehr eben entlang der Unstrut, die man aber nicht oft zu sehen bekommt. Ich war der irrigen Meinung, dass man die ganze Zeit zu Füßen von Weinbergen läuft. Aus Freyburg hinaus waren wirklich linker Hand Weinberg an Wein­berg, dazwischen immer mal eine „Straußenwirtschaft“ oder ähnliches und in den Wein­bergen vereinzelt Häuser, die man zum Teil von Reiseführern kennt. Da, wo die Weinberge auf Felssockeln ruhen, sind letztere mit großen Reliefs versehen. Da geht es unter anderem um Bibelstellen, griechische Heldensagen usw., welche den Weinbau oder -genuss betreffen.

Aber dann kommt eine große Aue mit Großjena mittendrin. Am Sonneck, dem Sporn des nächsten Plateaus, wo hinter den Häusern die Felsen stehen, biegt der Weg rechts ab und es geht mit der handbetriebenen Seilfähre (1,50 €, keine Deutschlandcard) über die Unstrut, vorbei an einem Zeltplatz und quer über die abgemähten Felder zum nördlichen Stadtrand von Naumburg. Von dort könnte man schräg durch die Stadt zum Dom laufen, aber ich habe ganz brav den ausgeschilderten Weg genommen, der in einem Bogen am östlichen Stadtrand zum Marktplatz und weiter zum Dom führt. Das hat mich dann doch in Eile versetzt, denn ich wollte doch wenigstens noch einen Blick in den Dom werfen, der um 18 Uhr schließt. Eine viertel Stunde vorher war ich dann endlich da und die Dame an der Kasse hat mich noch reingelassen - als Pilger auch hier umsonst. Und es gab sogar noch einen riesigen Stempel in den Pilgerausweis.

Um halb sieben war ich mit der Dame vom Pfarrbüro zur Schlüsselübergabe für das Pilgerzimmer verabredet. Die paar Minuten bis dahin habe ich mich in den wohlverdienten Schatten des Dompfarrhauses gesetzt. Die beiden Pilgerzimmer sind jeweils mit einem Doppelstockbett und einem eigenen Bad mit riesiger Dusche ausgestattet. Unter der Treppe ist eine kleine Küche mit einem Kühlschrank, der für durstig ankommende Pilger Wasser und Radler enthält. 12 € (bei eigenem Schlafsack) sind da angemessen.

Via Regia - Tag 10