Unterwegs auf dem Ökumenischen Pilgerweg entlang der Via Regia
Von Naumburg nach Rudersdorf

Tag 11 (Donnerstag, 15.6.2023) - Von Naumburg nach Rudersdorf / 31,5 km

9.30 Uhr. Ich sitze in Punschau auf einer schattigen Bank am Feuerlöschteich gegenüber der Kirche. Es ist angenehm kühl und es weht ein frischer Wind. Ich bin fast versucht, etwas überzuziehen, aber nach den heißen Tagen tut es gut, mal ein bisschen zu frösteln.

Ich war gestern vom Weg (lt. Pilgerführer 36,2 km, gelaufen inkl. Umwege lt. Komoot 43,4 km) und der Wärme so kaputt, dass ich sofort fest eingeschlafen bin, als ich mich nach dem Abendbrot nur mal für ein paar Minuten hinlegen wollte. Duschen und sonstige Körperpflege waren also heute früh dran, weshalb ich erst um sechs los bin, obwohl ich wieder halb fünf aufgestanden bin. Ich habe in der Zeit aber auch noch Kaffee aufgebrüht und gefrühstückt.

Von meinem Quartier nahe dem Dom ging es über die Saale nach Roßbach und dann auf einer stetig ansteigenden Straße hoch auf das Plateau nördlich der Saale. Erst auf schwer begehbaren Kopfsteinpflaster, dann auf einem recht gut hergerichteten Schotterweg. Oben angekommen biegt der Schotterweg nach rechts ab und man läuft weiter auf einem beidseits mit Bäumen bestandenen Feldweg. Zwischendurch bietet sich immer mal ein schöner Blick auf das Saaletal, zum Beispiel auf Bad Kösen, wo deutlich die riesige Saline zu erkennen ist.

Punschau, wo ich jetzt bin, ist der erste Ort auf dem Plateau. Die stattliche Kirche ist innen recht schlicht, aber sehenswert, denn da steht zwischen den Bankreihen ein großer Eisenofen und vor dem Chor sind rechts und links zwei winzige Patronatslogen. Aber der Kanzelaltar ist auch nicht für einen beleibten Pfarrer gedacht. Immerhin hat die Kirche zwei umlaufende Emporen. Auf der oberen steht die Orgel, die da nur hinpasst, weil man für sie ein Loch in die Decke gemacht hat. Die Orgelpfeifen reichen hier bis in den Dachstuhl. Vieles davon sieht der Besucher normalerweise nicht, da er im löblicherweise offenen Vorraum vor einem vergitterten Eingang steht, so dass der Blick nur in Richtung Altar möglich ist. Aber für einen geübten Tür-Notöffner ist es kein Problem, eine solche Gittertür zu öffnen, wenn sie nur eingeschnappt und nicht abgeschlossen ist.

21.00 Uhr. Um halb sechs bin ich an meinem heutigen Etappenziel Rudersdorf angekommen - dem ersten Ort hinter der Grenze zu Thüringen. Hier habe ich Quartier in einem zur Herberge umgebauten Stall (oder Scheune?) auf dem Pfarrgrundstück. Im Erdgeschoss befinden sich die Toiletten und eine große Wohnküche, in Obergeschoß sind etwa 10 Matratzen auf 4 Räume verteilt, dazu ein paar Sofas. In einem weiteren Raum stehen rich­tige Wohnzimmermöbel und eine Campingliege. Das ist meine - da ich allein in der Herberge bin, habe ich freie Wahl. Gleich gegenüber ist das sehr ordentliche Bad. Vor der Herberge ist ein Rastplatz, wo in Ermangelung von Rastenden gut bedacht der Wäsche­ständer mit meinen Socken und ein paar Schlüppis und Hemdchen steht. Ein paar Sachen zu waschen, war heute meine erste Aktion nach dem Eintreffen, damit die Wäsche noch ein paar Sonnenstrahlen und den warmen Wind abbekommt. Ich hoffe, zumindest die Socken werden bis morgen trocken, sonst muss ich statt Wandersocken meine Ausgehstrümpfe anziehen.

Hier ist es extrem ruhig, nur Vögel sind zu hören. Und jetzt, da die Sonne weg ist, wird es regelrecht kühl im Haus. Ich hätte ja Lust, den Kanonenofen in der Wohnküche anzu­schmeißen - ein Modell „Bullerjan“, das mit seinen Luftröhren um den Heizraum herum bestimmt ordentlich Wärme bringen würde. Gutes Brennholz liegt gleich daneben unterm Tisch. Aber die Nachbarn halten mich vermutlich für verrückt, wenn sie den Rauch aufsteigen sehen.

Der heutige Tag war geprägt von schier endlos geradeaus laufenden Wegen durch Felder, die mitunter bis zum Horizont reichten. Alles auf leicht welligem Terrain. Dazwischen fanden sich immer wieder nette kleine Dörfer mit interessanten Kirchen, die aber meist verschlossen waren.

Der Weg verlief nach dem ersten Anstieg auf fast gleich bleibender Höhe, wodurch er leicht zu gehen war. Trotz Bummelei war ich um eins in Eckartsberga, wo lt. Pilgerführer Etappenziel ist. Aber was soll man in einem solchen Ort (der übrigens Stadtrecht hat) den ganzen Nachmittag tun? Zwanzigmal die Hauptstraße hoch und runter laufen? Ich habe von weitem eine Gaststätte mit einem Absperrband vor der Tür gesehen und bin an einem Friseur und an einem Fleischer vorbeigekommen. Bei letzterem habe ich nach einem Imbiss gefragt, aber da war nichts mit Bockwurst oder so. Bei der Frage nach einer Einkaufs­möglichkeit bin ich auf einen Netto oben auf dem Berg an der Straße nach Apolda verwiesen worden. Dort sei auch eine Imbissbude. Also bin ich erstmal nicht weiter dem in die „Alte Straße“ abbiegenden Jakobsweg gefolgt, sondern auf der B 87 den Berg hoch zum Netto. Kurz davor steht der mit vielen Schildern angepriesene und tatsächlich sehr ordentliche Imbiss - der gerade Feierabend machte. Im Netto habe ich mich deshalb nicht nur für heute Abend und morgen früh eindecken müssen, sondern auch für sofort. Letzteres habe ich dann auf einem Rastplatz am geschlossenen Imbiss zu mir genommen.

Die Dame aus Rudersdorf, mit der ich vormittags wegen der Unterkunft telefoniert hatte, sagte mir zwar, dass ich nichts heranschleppen müsste, weil Bier und Wasser da wären. Aber da sich bei mir Skepsis eingestellt hatte, habe ich mir im Netto auch Bier für den Abend gekauft - zum Glück, denn das, was hier als Bier gepriesen wurde, war in Wirklichkeit Radler.

Dass es jetzt so spät geworden ist, liegt daran, dass hier einige Jakobswegliteratur rumliegt, unter anderem über den „Jakobusweg in Sachsen-Anhalt“ der in Vehlen an den gerade von mir zwecks Beschilderung erkundeten Weg Potsdam-Brandenburg-Vehlen anschließt und kurz vor Freyburg auf die Via Regia, d. h. den Ökumenischen Pilgerweg trifft und mit diesem bis nach Eckartsberga führt.

Via Regia - Tag 11