Unterwegs auf dem Ökumenischen Pilgerweg entlang der Via Regia
Von Neufrankenroda nach Oberellen

Tag 15 (Montag, 19.6.2023) - Von Neufrankenroda nach Oberellen / 36 km

Da es heute nochmal sehr warm werden soll, habe ich gleich nach dem Aufwachen meine Sachen gepackt und bin um fünf los, aber nicht ohne vorher meine Wasserflasche am Sprudelautomaten aufzufüllen, aus dem ich gestern Abend schon mehrere Liter meinem Körper zugeführt habe. Dem daneben stehenden Kaffeeautomaten habe ich zudem einen Café Crema entlockt, auf den ich aber eine Weile zu warten hatte, da die Maschine erst aufheizen musste.

Als ich vor die Tür trat, war ich angenehm überrascht, dass der Himmel bedeckt war. Es war noch frisch draußen, wobei 16 Grad für 5 Uhr nicht üblich sind. 27 Grad sollen es noch werden, aber zum Glück sollen auch die Wolken bleiben, denn es wird heute eine lange und vermutlich anstrengende Tour werden. Der Routenplaner erzählt was von 30 km, meist ist es in Wirklichkeit mehr.

Ich werde mir allerdings vor Eisenach die Hörselberge ersparen, auch wenn es sicher schön ist, dort von Gipfel zu Gipfel zu laufen. Aber selbst im Pilgerführer steht, dass früher nie ein Pilger auf die Idee gekommen wäre, diesen beschwerlichen Weg zu nehmen, zumal sich einige schaurige Sagen um diese Berge ranken. Zum Beispiel von Tannhäuser, der sich dort von der schönen Venus hat einlullen lassen und nun in der gleichnamigen Höhle hausen muss. Richard-Wagner-Fans (zu denen ich mich nicht unbedingt zähle), wissen, wovon ich rede. Unterhalb der Berge führt eine Straße an der Hörsel entlang, die mehrere Orte durch­zieht. Da wird sich ja hoffentlich die Gelegenheit zu einem Frühstück bieten, und sei es wieder an der Tankstelle. Hinter Eisenach wird es dann erneut bergig. Zunächst geht es hoch zur Wartburg und dann auf den Rennsteig, auf dem der Jakobsweg ein Stück verläuft.

Ich hoffe, dass meine Schuhe das noch mitmachen, denn inzwischen sind die so zerlatscht, dass mir mitunter auf den eh sehr unbeliebten Schotterwegen die spitzen Steine in die Fußsohle piken. Zweimal Santiago, diverse Tageswanderungen und dann die auf der Via Regia bisher zurückgelegten 400 km haben ihre Spuren hinterlassen. Ich hätte mal in Erfurt im 1409 errichteten Kleinen Hospital vor dem Leipziger Tor einkehren sollen. Laut Pilger­führer haben dort früher die Pilger nicht nur ein Nachtlager, sondern auch ein Paar neue Schuhe bekommen.

13.00 Uhr. Ich sitze knapp unterhalb der Wartburg auf einer Bank im Schatten, die so breit ist, dass man da vermutlich hervorragend Mittagsschlaf halten kann. Ich werde das gleich probieren. Ich bin gerade aus Eisenach den Weg hier hoch gelaufen. Das letzte Stück ist wegen Bauarbeiten gesperrt, deshalb muss ich die Straße und am Parkplatz die Treppen nehmen. Da möchte man schon ausgeruht sein.

14.30 Uhr. Ich bin oben angekommen und schau gerade nach, was so in der Burgschänke los ist. Ein Besuch hier oben auf der für Deutschland in vieler Hinsicht bedeutsamen Burg erweitert das Allgemeinwissen. Ich wusste zum Beispiel noch nicht, dass es von Ur-Krostitzer auch Schwarzbier gibt.

Inzwischen weiß ich auch, wo ich heute mein Haupt betten kann. Ich hatte eigentlich die im Pilgerführer ausgewiesene Herberge in Hütschhof angepeilt. Als ich um neun angerufen habe, war nur eine polnische Angestellte dran, die mir sagte, ich solle nach elf nochmal anrufen. Das habe ich gemacht und dabei erfahren, dass es die Herberge seit drei Jahren nicht mehr gibt. Eine Alternative konnte mir die Dame am Telefon nicht nennen, obwohl es drei Kilometer weiter in Oberellen mehrere gibt. Ich habe daraufhin dort die Herberge angerufen. Die Inhaberin sagte mir, dass sie selbst nicht da wäre und dass Gäste im Haus seien. Ich solle es in der benachbarten Pension Stelzer versuchen. Wenn da nichts ist, soll ich mich nochmal melden, dann würde man schon eine Lösung finden. In der Pension habe ich zunächst nur die Tochter des Hauses erreicht, die mir aber versprochen hat, dass die Mutter gleich zurückruft. Das passierte auch, als ich in Eisenach beim Chinesen über Nudeln mit gebackener Ente saß. (Lecker!)

Petra, Pilgerin und Herbergsmutter, sagte mir, dass zwar die Zimmer alle belegt seien, dass sich aber was finden würde - vermutlich im Biergarten, wo es ein Gästezimmer mit Wasch­becken und Toilette gibt. Biergarten? Ich habe schon schlechter geschlafen! Und nachdem ich gelesen habe, dass zur Pension auch ein Getränkehandel gehört, laufe ich meinem Tagesziel völlig sorgenfrei entgegen. Petra hat mir sogar in Aussicht gestellt, zum Abendbrot einen „Strammen Max“ zu servieren. Sehr gerne, ich bin ja nicht beim Fasten­pilgern.

Die Inhaberin der Herberge hat dann übrigens aus dem Ausland per SMS angefragt, ob es mit der Pension geklappt hat, was ich ihr bejahen konnte. Das nenne ich Pilgerbetreuung!

19.30 Uhr. Ich bin in Oberellen angekommen - wohlbehalten, aber ziemlich geschafft. Laut Routenplaner waren es 34 km, aber der nimmt ja den kürzesten Weg und nicht unbedingt den Jakobsweg. Also, ein paar mehr waren es sicher. Dank frühen Loslaufens war ich bereits mittags in Eisenach. Da habe ich, wie schon erzählt, gegessen und ein bisschen rumge­trödelt, bevor ich hoch zur Wartburg gestapft bin. Das war erst eine lange, stetig anstei­gende, gerade Straße, dann ein ebensolcher Waldweg und zuletzt abwechselnd Straße und Weg in Kurven hoch zur Burg - nachdem ich wie angekündigt tatsächlich noch ein schönes Nickerchen gemacht habe. Dann habe ich ausgiebig das Burggelände erkundet und auch den gut hergerichteten Weg unterhalb der Burgmauer gefunden, an dem Tafeln und kleine Ausstellungen von damaligen Bauverfahren berichten. Um halb vier habe ich mich dann wieder auf den Weg gemacht und war ganz erschrocken, als auf dem nächsten (für Radfahrer gedachten) Schild „Oberellen 12 km“ stand. Das sind drei Stunden, zuzüglich der bei diesen Bergen immer mal erforderlichen Pausen. Das ergibt eine Ankunftszeit von etwa 19 Uhr, also deutlich mehr als „nach fünf“, wie ich meine Ankunftszeit angekündigt hatte. Da habe ich schnell noch eine SMS geschickt, damit die Herbergsmutter Petra (eine stolze Großmutter mit drei Enkeln) nicht denkt, ich käme nicht.

Hinter der Wartburg ging es zunächst bergab. Dann vorbei an der Sängerwiese und wieder hoch zur „Wilden Sau“, wo der Jakobsweg bzw. Ökumenische Pilgerweg auf den Rennsteig trifft und von wo sich nochmal ein grandioser Blick auf die inzwischen mehr als fünf Kilometer entfernte Wartburg bietet. Nun ging es ein paar Kilometer zusammen mit dem „Lutherweg 1521“ entlang des Rennsteigs, vorbei am „Tunnelkopf“, d. h. über einen der ältesten Eisen­bahntunnel Deutschlands (1858) hinweg, und vorbei am Vachaer Stein, einer historischen Wegmarke, die den Übergang der Via Regia über einen der Thüringer-Wald-Pässe markiert. Wie auf einer Info-Tafel zu lesen ist, endeten bzw. begannen hier zu DDR-Zeiten die Renn­steigwanderungen. Alles, was weiter westlich lag, war zu dicht an der Grenze.

Nun sitze ich hier allein im Biergarten, der so verwaist ist, weil heute eigentlich Ruhetag ist. Ich werde mich aber gleich zu meiner Campingliege begeben und versuchen, bei ein­brechender Dunkelheit zu schlafen.

Morgen will ich zeitig aufbrechen, damit ich nicht so spät in Vacha ankomme und mich da noch etwas umsehen kann. Ein Bett in der Pilgerherberge habe ich mir schon reserviert. Herbergsvater ist der Buchhändler, der auch die „Orden“ vergibt, wenn jemand mit einem vollgestempelten Pilgerausweis kommt. Ich habe mir hier gerade einen Stempel in das letzte freie Feld drücken lassen, da müsste ich doch eigentlich eine besondere Ehrung erfahren. Ich bin gespannt …

Via Regia - Tag 15